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Archiv-Artikel

Mit einem Bein im Kulturbetrieb

Das Schnürschuh-Theater ist Bremens ältestes freies Theater. Dieses Jahr feiert es seinen 30. Geburtstag. Mitgründer Reinhard Lippelt über die wilden Siebziger, agitatorisches Straßentheater, die harte Schule des Publikums und die Euphorie der taz bremen-Gründung zehn Jahre später

Interview Delf Rothe

taz: Was ist der Ursprung des freien Theaters?

Reinhard Lippelt: Das entstand in den Siebzigern und zwar aus zwei unterschiedlichen Richtungen. Zum einen aus der alternativen Szene, mit dem Ziel der politischen Aufklärung. Zum anderen von Schauspielern aus der Theaterszene, die sich vom Staatstheater gegängelt und geknebelt fühlten. Die wollten endlich mal frei arbeiten, endlich mal was ganz Tolles machen.

Und wie habt ihr angefangen?

1976 hatten sich aus der Außerparlamentarischen Opposition mehrere Strömungen gebildet. Eine davon war die alternative Lebensbewegung. Das waren Menschen, die sich nicht mehr vorschreiben lassen wollten, was sie zu tun hatten, keinen Chef mehr haben und ihre Vorlieben zum Beruf machen wollten. Entstanden ist das Ganze als Reaktion auf die Ablehnung des jugendlichen Protests durch das Establishment. Schah-Besuch, die Erschießung Benno Ohnesorgs, Knüppelaktionen durch die Polizei – das waren alles Anlässe für den Protest. Wir waren ein Teil dieser Alternativbewegung.

Wie sah euer Protest aus?

Wir waren 20 Leute, hauptsächlich Jugendliche, und haben uns gemeinsam einen Laden im Fedelhören gemietet – getarnt als Büroraum. Dort haben wir einen Jugendclub aufgemacht und eine Alternativzeitung herausgegeben. Die hatte eine Auflage von 800 Exemplaren, die wir selbst hauptsächlich im Kneipenmilieu verkauft haben. Wir merkten aber sehr schnell, dass wir damit nur den Leuten, die genauso dachten wie wir, erzählten, was sie eh schon wussten. Das Theater haben wir daraufhin installiert, um auch ganz normale Leute zu erreichen – auf der Straße, auf dem Flohmarkt oder auf dem Stadtfest.

In welcher Weise?

Das war politisches Theater. Das heißt Meldungen, die in der medialen Öffentlichkeit unterdrückt oder falsch dargestellt wurden, haben wir in Sketchform umgesetzt und in Szene auf die Straße gestellt. Dafür haben wir so viel Unterstützung vom Straßenpublikum bekommen, dass wir viel mehr Spaß hatten, als mit der Zeitung.

Was waren eure Themen?

Zum Beispiel der Atomwissenschaftler Klaus Traube, der abgehört wurde, weil er sich kritisch über Atomkraftwerke geäußert hatte. Oder der angebliche Selbstmord von Ulrike Meinhof, da haben wir mit Brecht-Texten gearbeitet. Solche Themen haben wir dann später zu Stücken verdichtet. Da ging es zum Beispiel um Ausgrenzung unter Kindern und um Vorurteile. Oder um Drogen – es hat uns unheimlich geschockt, dass Heroin damals so in Mode kam. Die Stücke sollten zum Nachdenken anregen.

Wie kamt ihr zum Jugendtheater?

Wenn man auf der Straße spielt, sind dort immer viele Kinder. Da lag der Gedanke nahe, ein Stück für Kinder zu machen. Das war 1978. Auf der Straße wurden wir von vielen Lehrern angesprochen, die uns in Schulen eingeladen haben. So haben wir relativ schnell mit Jugendtheater angefangen.

Ihr wart Studenten, wie habt ihr Schauspielern gelernt?

Zum einen durch Learning by Doing. Das Spielen auf der Straße ist eine gute Schule, weil die Zuschauer sofort weg sind, wenn du langweilig oder schlecht spielst. Zum anderen haben wir Workshops besucht, um unsere Fähigkeiten zu erweitern.

Wie habt ihr euch über Wasser gehalten?

Die erste Zeit waren wir ja Studenten und haben BAföG bekommen. Aber nach acht Jahren ungefähr hatte sich alles so weit entwickelt, dass man sich fragen musste: Will man davon leben oder nicht? Das hat die Gruppe gespalten. Anfang der Achtziger hatten wir das Glück, dass die Arbeitslosigkeit ein solches Ausmaß annahm, dass ABM-Projekte auf den Markt geschmissen wurden. Man hatte dann manchmal eine ABM-Stelle – manchmal auch keine, aber dann bekam man Arbeitslosengeld. Dadurch haben wir uns die nächsten acht Jahre finanziert. Als die ABM-Programme radikal zurückgeschraubt wurden, sind wir 1988 in den Kulturetat gekommen und sind seitdem mit einem Bein im etablierten Kulturbetrieb.

Und seid auch dementsprechend gefördert worden?

Nein, als alternative Einrichtung wird man ja als Subventionsempfänger betrachtet – egal was man leistet. Wir haben immer am Existenzminimum gearbeitet. Seit 2005 kriegen wir keine staatliche Förderung mehr. Dadurch sind wir abhängig von privaten Unterstützern.

Wie kamt ihr zu eurer festen Spielstätte?

Nur auf Nachfrage zu spielen, war uns irgendwann zu unsicher. Deswegen haben wir angefangen, uns Räume zu mieten – im Schlachthof, im Packhaus, in der Kunsthalle. Dort haben wir serienweise gespielt und die Schulklassen kamen zu uns. Seit zwölf Jahren haben wir unsere eigene Spielstätte im Buntentorsteinweg 145. In Schulen gehen wir jetzt nur noch, wenn sie weiter weg sind.

Wie habt ihr die Gründung der taz erlebt?

Da herrschte vorher eine große Euphorie. Es gab ja etliche Gründungsveranstaltungen und die taz-Initiative. Endlich mal ein Medium von unten, von frei denkenden Leuten, von undogmatischen Linken. Als es dann soweit war, war es eigentlich eine große Enttäuschung. Es wurden Journalisten eingesetzt – gute zwar, aber absolut ohne Bezug zur alternativen Szene. Teilweise gar nicht aus Bremen. Man hatte wohl den Anspruch, nicht nur seinem Klientel auf den Mund zu schreiben. Dadurch ging man fast überkritisch mit der Szene um. Viel kritischer als die bürgerlichen Zeitungen. Das war frustrierend.

Wie hat sich euer Theater bis heute verändert?

Unser Sendungsbewusstsein hat sich verändert. Wir haben nicht mehr die Vorstellung, mit Jugendtheater so viel beeinflussen zu können. Auf der Bühne kann man viel feiner psychologisch arbeiten als auf der Straße – da ist alles sehr agitatorisch. Was wir bewahrt haben, ist viele Bilder zu schaffen. Der Text darf nicht so sehr im Vordergrund stehen.