: Es berührt einen anders
Bei fremden Leuten klingeln und in deren Wohnung Getränke und Livemusik kredenzt bekommen: Elena Brückner organisiert seit kurzem Berliner Wohnzimmerkonzerte
taz: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, in Berlin Wohnzimmerkonzerte zu veranstalten?
Elena Brückner: Die Idee ist zu mir gereist im Tourgepäck von Rick Treffers und seiner holländischen Band Mist, die in der Garage Pankow aufgetreten sind. Dort habe ich bis 2005 Konzerte organisiert. Wir haben uns platonisch verliebt, und ich habe sozusagen sein Baby „Live in the Living“ adoptiert.
Was ist denn das Besondere an „Live in the Living“?
Der formale Ablauf steht fest: feste Anfagszeiten, drei Musiker bzw. Bands pro Abend, die jeweils zweimal fünfzehn Minuten spielen, und eine Moderation, die über die Musiker informiert. Das Publikum ist sehr nah an der Musik dran – nicht nur räumlich, auch der Gesang ist unverstärkt. Das intensive Hörerlebnis in einer Privatwohnung führt dazu, dass man sich ganz anders berühren lässt. Und danach mit Musikern und anderen Gästen ins Gespräch kommen kann. Was so schön ist: Mit einfachen Mitteln kann ich sehr viel erreichen. Ich suche einfach Kooperationspartner – Privatleute für die Wohnung, kleine Labels für die Künstler – und alles steht.
Welche Art Musiker laden Sie ein in die Wohnzimmer?
Ich wähle ganz subjektiv aus: Unbekannte Musiker, die mich künstlerisch ansprechen, oder solche, die die Musikpresse schon entdeckt hat. So ein „Live in the Living“-Abend lässt ein sehr weites Programm zu: Ich kombiniere Pop mit klassischen Singer/Songwritern oder mit Jazz. Sowohl Musiker als auch Gäste sind in dem ungewohnten Rahmen offener. Wenn ein Songwriter aus Chile kurzerhand einen Weinkarton zum Schlagzeug umfunktioniert, dann hat das weniger mit Folklore zu tun als mit der Tatsache, dass das Wohnzimmer für Musiker spannender ist als eine normale Bühne.
Ein Konzert im Wohnzimmer ist sehr intim und hat gleichzeitig etwas sehr Exklusives. Wie verhalten sich da die Zuhörer?
Auf jeden Fall nicht wie im Club: Meistens herrscht atemlose Stille, keiner qualmt, keiner quatscht, keine Gläser klirren. Spontane Reaktionen der Sänger gehen ins Publikum: Miss Kenichi wollte gleich eine ganze Bücherwand als Kulisse für ihren nächsten Auftritt mitnehmen. Und manchmal stiehlt der Auftritt der Hauskatze den Sängern die Show.
Was für ein Publikum haben Wohnzimmerkonzerte?
Alle, die kommen wollen, interessiert und offen sind. Oft sind das Leute zwischen 25 und 35, oft aus Prenzlauer Berg oder Kreuzberg. Wir balancieren vor jedem Konzert Klappstühle auf Fahrrädern durch die Stadt, damit alle Platz finden.
Was treibt Sie an?
Ich liebe es, immer wieder neue Wege auszuprobieren, um interessante Künstler vorzustellen, die aufgrund ihrer Individualität vielleicht nicht auf einem Majorlabel zu finden sind.
Woher bekommen Sie die Wohnzimmer?
Ganz am Anfang habe ich im Freundeskreis gefragt. Natürlich gab es Bedenken, dass was geklaut wird oder jemand seine Zigarette auf dem Parkett ausdrückt. Das ist aber noch nie passiert. Bei den ersten Konzerten habe ich dann Listen ausgelegt, in die man sich eintragen konnte. Mittlerweile rücken wir Möbel in den Wohnungen von fremden Leuten. Wobei schon mal ein Bewohner unter seinem eigenen Bett begraben wurde – er musste sofort einen Whiskey trinken. Und wir haben so gelacht, dass wir Mühe hatten, die Klappstühle aufzustellen. INTERVIEW: CHRISTIANE NALEZINSKI
Seit April 2006 organisiert Elena Brückner, 37, in Berlin Konzerte in Privatwohnungen. Am kommenden Sonntag findet das Konzert in einem Haus in der Karl-Marx-Straße statt: Graham Langley (Savoy Grand), Noel und Milenasong. Plätze für 40 Leute. 8 Euro, Getränke inklusive. Anmelden und Newsletter bestellen unter: liveintheliving@musicincolours.de