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Archiv-Artikel

VOM MISSY MAGAZINE BIS ZUM FAKE-HERMELIN – IM KAMPF GEGEN DIE VORGEZOGENE NOVEMBERDEPRESSION Coole Frauen, schicke Ladys und wagemutige Frisuren

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Der zur Schwermut neigende Mensch wird immer und überall einen Grund zur Traurigkeit finden. Aber der Herbst ist nun einmal schon seit Alters her die melancholischste Jahreszeit. Schon in der griechischen Säftelehre wurde dem Melancholiker die schwarze Galle als Körpersaft, die Milz als Organ und der Herbst als Jahreszeit zugeordnet. „Hauptsache raus!“, empfahl Hippokrates den Melancholikern, und „Hauptsache raus!“ muss sich der Mensch auch immer wieder sagen, wenn sich schon Anfang September eine herbstliche Ausgehmüdigkeit als Vorbote der ersten zarten Novemberdepression ankündigt.

Das Ausgehwochenende begann mit der ewigen Frage: „Was ziehe ich an?“ und führte dann zur allermelancholischsten häuslichen Tätigkeit: dem Aussortieren der Sommersachen, der Tops und leichten T-Shirts, luftigen Oberteile und dünnen Leinenhosen, um Platz im Schrank für Langärmliges, Gestricktes, Wollenes, Cordsamtenes zu machen.

Am Abend stand als erster Punkt die „Missy Party“ im West Germany auf dem Programm. Das Missy Magazine feierte dort die neue Ausgabe und den Relaunch des Heftes. Schön war es, mal wieder das versiffte Treppenhaus hochzugehen, und auch oben herrschte eine ganz andächtige Stimmung. Golden Disko Ship hatte schon angefangen, die One-Girl-Band spielte Gitarre, Glockenspiel, sang und produzierte allerlei Geräusche vor ihren Videoprojektionen. Zur heimeligen Atmosphäre trug auch die Tatsache bei, dass ein nahezu perfektes Publikum anwesend war. In schönster Umkehrung des „normalen“ Geschlechterverhältnisses bei Indiepop- oder Elektronikkonzerten betrug hier die Quote etwa 80 zu 20. Gemäß dem Missy-Auftrag, Feminismus glamourös und cool zu präsentieren, waren sehr viele wirklich coole Frauen, schicke Ladys und interessante characters mit wagemutigen Frisuren in den verschiedensten Styles zu sehen.

An einem echten Ausgehabend müssen aber mehrere Stationen bewältigt werden, also ging es weiter zum „Ja, Panik“-DJ-Team in den King Kong Club. Ein guter Plan, der aber zwei Haken hatte, nämlich den Ort und die Zeit. Man sollte sich an einem Samstag von Mitte fernhalten! Also ging’s bald nach Hause.

Eine alte Ausgehregel besagt ja, dass wenn man am Samstag nicht ganz so exzessiv aus war und der Sonntag nicht zur Rekonvaleszens benötigt wird, er mit Aktivität erfüllt werden muss. Zudem setze einem der Sonntagnachmittag mit den wahrscheinlich letzten Sonnenstrahlen des Jahres auch moralisch unter Druck. Also zog man hinaus zur Freizeitgegend am Schlesischen Tor und von dort aus eher unbeabsichtigt zum Schrottflohmarkt an der Arena. Vor der Halle war eine Installation aus hübsch aufgereihten, zierlichen Nähmaschinen, bauchigen Küchenspülwannen und altertümlichen Druckersetzkästen samt Bleilettern aufgebaut. Drinnen hing schon die Winterkollektion: Pelzmäntel in allen Farben und Schattierungen vom Silberfuchs und Persianer über den Nerz zum Pseudozobel und Fake-Hermelin.

Als es abends vor den Cafés selbst für die fanatischsten Freilüftler zu kalt wurde, legte sich eine große Nachsaisonmelancholie über die Straßen. Ganz verwaist lag die am Nachmittag noch überfüllte Lieblingsbar da, nur ein Mann, der eine „leere Whiskyflasche fürs Theater“ holen wollte, kam herein. Ein gewisser Kai, der nur eine Zigarette schnorren wollte, erzählte dann laut von seiner Tochter Jennifer und seiner Chancenlosigkeit bei Frauen, seit er 41 sei.

Als er endlich ging, kam spät am Abend zwar kein Gast, aber ein netter Straßenfeger-Verkäufer, der berichtete, in den anderen Bars sehe es genauso mau aus: „Das war’s. Der Sommer lief noch gut, aber das waren alles Touristen. Jetzt wird’s hart.“