: Ein neuer Radius für die Kunst
Das Kulturhaus „Radialsystem V“ an der Spree ist fertiggestellt – ohne öffentliche Mittel, aber mit Hilfe prominenter Künstler. Aus dem alten Pumpwerk wurde ein schicker Kulturtempel, gerade recht für die kommerziellen Nebenwege der Betreiber
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Als Berlin sich 1880 ein neues innovatives System zur Stadtentwässerung anlegte, errichteten die Wasserwerker dafür an zentralen Orten der Stadt Pumpwerke. Das „Radialsystem V“, eines der ersten Pumpwerke, entstand an der Spree, an der Mühlenstraße, direkt gegenüber dem heutigen Ostbahnhof. Von hier aus pumpte die Station das Wasser in alle Richtungen, von Haupt- in Nebenstränge bis hinein in die verzweigten Leitungssysteme der Wohnblocks.
Den historischen Gebäudenamen Radialsystem V haben die Betreiber des jetzt fertiggestellten neuen Kultur- und Veranstaltungshauses ganz bewusst übernommen, gibt er doch inhaltlich die Richtung für das Konzept und den Ort vor: Wie das radiale System sollen in und von diesem Zentrum Kunst und Kultur aller Sparten und Formen ausstrahlen: Die bildende Kunst, Theater, zeitgenössischer Tanz, Literatur, Konzerte alter und neuer Musik, aber auch Workshops, Medientage und Seminare sind Teil des multifunktionalen Konzepts, wie der künstlerische Leiter des Hauses, Jochen Sandig, gestern sagte. Hat Berlin also eine weitere Kulturfabrik?
Wohl kaum. Zwar besetzt das Kulturhaus – wie andere vor ihm auch – historische Gewerberäume. Neu ist, dass das für 10 Millionen Euro sanierte Backsteingebäude der Bochumer Vermögensgesellschaft Telamon OGH eine private Kulturinvestition ohne öffentliche Mittel darstellt – in dieser Dimension ein Novum in Berlin. Für Telamon ergänzte der Berliner Architekt Spangenberg den alten Gebäudekern des Pumpwerks 2004 bis 2006 um einen gläsernen Neubau, der sich wie ein Bügel über das Pumpwerk schiebt.
Neu ist auch, dass die beiden Betreiber, die Berliner Kulturmanager Jochen Sandig und Folkert Uhde als Geschäftsführer der Radialsystem V GmbH, den künftigen Veranstaltungsort für Kunstaktionen, Aufführungen und Konzerte als „privaten kommerziellen Betrieb“ führen wollen. Rund 30.000 Euro Miete kostet das Haus monatlich. Räume sollen an Projekte vermietet, Projekte hier miteinander vernetzt werden und zusätzliche Veranstaltungen und Kongresse das Geld einspielen. „Wir geben nur aus, was wir einnehmen. Öffentliche Mittel sind nicht Teil des Konzepts“, so Sandig mutig.
Sandig ist nicht irgendwer in der Berliner Szene, sondern als Tacheles-Kurator und Sophiensæle- und Schaubühnen-Macher ein erfahrener Kulturmanager. Deshalb hat er sich „Zugpferde“ für den Start des Radialsystems V an Bord geholt. Der zeitgenössische Tanz der Choreografin Sasha Waltz soll in dem Gebäude bald ebenso ein Zuhause finden wie die Konzerte der Akademie für Alte Musik Berlin oder der Redaktion „ZIA“. Ab Oktober werde es zudem im Haus eine Kinder-Tanzcompagnie geben.
Zur Verfügung dafür stehen nun zwei große Hallen (die einstige Maschinen- sowie Lagerhalle) für maximal 800 Zuschauer. Außerdem gehören zum Innenleben des 2.500 Quadratmeter großen Komplexes: vier Studios, eine Loggia, die Lounge und zahlreiche Nebenflächen für Künstlergarderoben, Produktionsbüros und Technik.
Ob das neue Kulturhaus lebt und überleben wird, wird zum einen vom Programm und den Zuschauern abhängen, die ab 9. September zur Eröffnung eingeladen werden. Ob der Spagat Kunst und Kommerz so wie geplant funktioniert, muss ebenso abgewartet werden. Amelie Deuflhard, Leiterin der Sophiensæle und Initiatorin der „Palast-Zwischennutzung“, sieht in dem großen Kulturhausprojekt eine Chance, jenseits der öffentlichen Haushalte kreativ zu sein. Dennoch müsse darauf geachtet werden, sagte sie der taz, „wie viel Kommerz zulässig ist, ohne dass die Kunst darunter zu leiden hat“. Ein Radialsystem V, das in der Hauptsache wirtschaftliche Interessen verfolgt, verabschiede sich von der ursprünglichen Idee – eines Dialogs zwischen Kunst und Kommerz.