: Folgen eines Verdachts
ZWEI VERSIONEN EINES LEBENS Hellmut Späth war Direktor der Späth’schen Baumschulen. Noch lange nach Kriegsende galt er als überzeugter Nationalsozialist – zu Unrecht
VON FRAUKE BÖGER
Hellmut Späth war ein überzeugter Nationalsozialist. Er bemühte sich, seine Tochter Dagmar, die als „Halbjüdin“ galt, „arisieren“ zu lassen. Er war Mitglied der NSDAP, schenkte der Partei 10.000 Reichsmark und behandelte die Zwangsarbeiter in seinem Betrieb schlecht. Das zumindest erzählte man sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs über den Direktor der Späth’schen Baumschulen, die damals die größten weltweit waren. Es gibt aber auch eine ganz andere Version seiner Lebensgeschichte.
„Es ist schwer, eine Geschichte, die so lange nur auf die eine Art erzählt oder ganz verschwiegen wurde, aus den Köpfen zu bekommen“, sagt Christoph Rechberg, der heute Geschäftsleiter der Späth’schen Baumschulen ist. Er wirkt aber nicht erschöpft, sondern eher angestachelt. In der zweiten Version von Hellmut Späths Lebensgeschichte, an die Christoph Rechberg glaubt, ist Späth ein Opfer der Nationalsozialisten. Er war ihnen im Weg. Sie bekämpften ihn mit viel Aufwand und brachten ihn schließlich im KZ Sachsenhausen um. Dass Späth dort zu Tode kam, ist mittlerweile auch belegt.
Wer war dieser Mann nun, der 1885 in Paris zur Welt kam, in Berlin und Cambridge Botanik, Geologie, Nationalökonomie und Philosophie studierte und über den Johannestrieb, das zweite Austreiben einiger Laubbäume, promovierte? 1912 übernahm Späth die väterlichen Baumschulen, die an diesem Wochenende ihr 290-jähriges Bestehen feiern. „Zwischen 1920 und 1930 hat er die größte Baumschule der Welt aufgebaut, mit 1.500 Mitarbeitern“, sagt Rechberg. 1922 heiratete er seine erste Frau Helga Eysler, und ihre Tochter Dagmar wurde geboren. 1926 ließen sie sich scheiden. Insgesamt heiratete er dreimal. „Er hatte immer schöne, charakterstarke Frauen, aber irgendwie hat es nie gehalten“, sagt Rechberg.
Mit der Weltwirtschaftskrise geriet der Betrieb an den Rand des Konkurses, Späth musste große Teile der Ländereien verkaufen. Er trat 1933 der NSDAP bei. „Das kann man ihm sicherlich vorwerfen“, sagt Rechberg. „Ich weiß nicht genau, warum er Parteimitglied wurde, vielleicht war es Opportunismus.“
Blumen und Lebensmittel
Seitdem ging es mit den Baumschulen wirtschaftlich wieder aufwärts, sie bekamen Großaufträge, unter anderem zur Begrünung des Olympiastadions. Doch dann begannen die Denunziationen. Späth wurde vorgeworfen, mit „jüdischem Kapital“ umzugehen, seine Freundschaft mit Werner Magnus, einem aus der Humboldt-Uni gejagten Professor der Botanik, nahmen ihm die Nazis übel. „Ich selbst habe Professor Magnus auf Anweisung von Dr. Späth Lebensmittel und Blumen gebracht“, sagte Heinrich Schulz, ein ehemaliger enger Angestellter Späths, 1946 aus. „Dr. Späth war in jeder Beziehung großzügig und hatte eine positive soziale Einstellung.“ Späths Tochter Dagmar musste 1940 die Schule verlassen, weil sie als „Halbjüdin“ galt. Späth leitete ein Arisierungsverfahren für sie ein. „Man kann denken, dass er das tat, weil er ein überzeugter Nazi war. Aber man kann auch denken, dass er es nicht ertrug, dass seine Tochter nicht zur Schule gehen durfte“, sagt Rechberg.
1943 machte die Gestapo Erna Wisniewsky, Späths Privatsekretärin, zu ihrer Spionin. Sie sorgte dafür, dass Späth des verbotenen Tauschhandels überführt und verhaftet werden konnte. „Es ging dabei um einen Tausch von Seife gegen Speck“, sagt Rechberg. Ein Jahr Haft in Bautzen bekam Späth wegen „Kriegswirtschaftsvergehen“. In dem Schutzhaftbefehl vom 10. April 1943, ausgestellt von Ernst Kaltenbrunner, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamts, heißt es: „Er gefährdet durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates, indem er durch versteckte Hetz- und Wühlarbeit Volk und Reich in seinem Schicksalskampf größtmöglichen Schaden zuzufügen unternimmt.“ Ein paar Monate später muss Späth aus der Partei austreten. Ihm wird „bis zuletzt Umgang mit Juden“ vorgeworfen. „Darüber hinaus haben die Verhandlungen ergeben, dass die charakterliche Einstellung des Dr. Späth mit nationalsozialistischer Auffassung nicht nur nicht übereinstimmt, sondern ihr entgegengesetzt ist“, heißt es in dem Urteil vom 13. August 1943.
Warum machten die Nationalsozialisten sich solche Mühe, Späth loszuwerden? „Er muss irgendwie in Ungnade gefallen sein“, sagt Astrid Ley von der Gedenkstätte Sachsenhausen, die für die Dauerausstellung Material über Hellmut Späth zusammenstellte. „Er war ja eigentlich auf Du und Du mit den Großen.“ Rechberg vermutet, dass er ihnen einfach auf die Nerven ging. „Und einen erfolgreichen deutschen Unternehmer ruhigzustellen, war ja dann doch nicht so ganz einfach.“
In Bautzen lässt Späth achtmal seinen Notar kommen, um sein Testament ändern zu lassen. „Das war für ihn wohl die einzige Möglichkeit, um Hilfe zu bitten“, vermutet Rechberg. „Er hat gemerkt, dass er das nicht überleben wird.“ Von Bautzen wird Späth als politischer Häftling in das KZ Sachsenhausen überführt. „Das war damals so üblich“, sagt Ley von der Gedenkstätte. Seit der Jahreswende 1944/45 plante die SS die Evakuierung des KZs und die Vernichtung seiner Insassen. „Am 15. Februar kam es zu einem Massenmord, dem auch Späth zum Opfer fiel“, sagt Ley. Wahrscheinlich ist er erschossen worden. Auf dem Todesschein behaupten die Nazis, Späth sei an Durchfall und einem Katarrh gestorben. Die Urne bekamen die Angehörigen. Geschäftsleiter Rechberg vermutet, dass sie auf dem Gelände der Baumschule vergraben wurde, einen Beleg dafür gibt es nicht.
Nicht verrauchte Wut
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb von den Sowjets enteignet, mit der Begründung, dass Späth eben ein Nazi war. Die Vorwürfe, Späth habe die Zwangsarbeiter, die in seiner Baumschule arbeiteten, schlecht behandelt, werden aber von 28 Aussagen ebendieser später widerlegt. „Nur eine sagte etwas anderes aus, aber es stellte sich hinterher heraus, dass sie gar nicht in den Baumschulen war“, sagt Rechberg. Und der Vorwurf, Späth habe der NSDAP 10.000 Reichsmark gegeben, lässt sich nicht belegen. „Die Akte ist komischerweise verschwunden.“
Die Geschichte von Späth, dem überzeugten Nazi, hat sich hartnäckig gehalten, bis nach der Wende, als die Treuhandgesellschaft im Auftrag der Bundesrepublik sich weigerte, den Betrieb an die Familie zu restituieren. „Die haben damals doch allen Ernstes wieder behauptet, dass Hellmut Späth ein Obernazi gewesen sei“, erzählt Rechberg. Man merkt, dass seine Wut darüber nicht verraucht ist. Den Prozess haben die Baumschulen gewonnen. „Der Richter war wirklich total sauer, noch mehr als ich, wegen der Dreistigkeit der Treuhandgesellschaft“, sagt er. Damit war zum ersten Mal das Urteil eines Rechtsstaats über Hellmut Späth gefällt worden. Am Samstag, bei den 290-Jahr-Feiern der Baumschule, wird ihm ein Stolperstein gewidmet.