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Archiv-Artikel

Bundesagentur für Service

Hartz-IV-Empfänger sollen jetzt niedere Dienste verrichten, um sich ihre Staatsknete zu verdienen. Keine schlechte Idee: Natürlich kann man Menschen auch motivieren, indem man sie demütigt

VON MARTIN REICHERT

Mensch, geh doch mal arbeiten! Dies war mal ein vielgehörter Satz in den so gut wie verblichenen Daily-Talk-Shows der Republik, in denen sich häufig Arbeitslose gegenseitig fertigmachten, zur Ergötzung der Arbeitslosen zu Hause vor den Bildschirmen. Diese Menschen heißen nun Hartz-IV-Empfänger und sollen nun tatsächlich endlich mal arbeiten für ihre Staatsknete, mit hübschen (?) Uniformen ausgestattet dem öffentlichen Nahverkehr ein menschliches Antlitz verleihen und dem „Vandalismusbedürfnis“ (Wilfried Hanss, Geschäftsführer der Leipziger Verkehrsbetriebe) der Mitreisenden entgegenwirken. Koffer sollen sie tragen und nicht kontrollieren, Kinderwagen wuchten mit einem Service-Lächeln im Gesicht.

Seid dienstbare Geister!

In anderen Ländern geht das schließlich auch: In Argentinien hält einem, kaum hat man den Motor ausgemacht, jemand die Tür auf, in Großbritannien braucht man keine Mülltonnen mehr, weil eifrige Saubermänner und Frauen jeden Schnipsel sofort aufheben, und in den USA fällt der Abgang aus dem Supermarkt viel leichter, weil dienstbare Geister die Tüten einpacken und zum Auto tragen.

In Deutschland holt nun die öffentliche Hand den Rückstand auf, macht, eins, zwei, drei, aus Servicewüsten blühende Landschaften – und befindet sich gleich auf jenem Holzweg, den man auch als „deutschen Sonderweg“ bezeichnet: Die revolutionäre Umwälzung zur Dienstleistungsgesellschaft wird nun von den Schreibtischen der Bundesagentur für Arbeit gesteuert. Und das soll gut gehen?

Während anderswo, vor allem in den gerne als leuchtendes Vorbild gepriesenen USA, die Menschen von den Verhältnissen gezwungen werden, wirklich jeden Job anzunehmen, um über die Runden zu kommen, werden die Hartz-IV-Empfänger von den Behörden dazu genötigt. Welche Auswirkungen dies auf die Motivation der Betroffenen hat, mögen sich manche jetzt schon nicht gerne vorstellen, gipfelnd in der Frage: „Darf man sich denn wehren, wenn einem dann jemand den Koffer tragen will?“ Noch viel weniger möchte man sich vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man sich morgens in die Hartz-IV-Uniform wirft, um anschließend als Sozialhilfeempfänger gut sichtbar gekennzeichnet die Plünnen der gestressten Berufstätigen durch die Gegend zu tragen. Schaut man angesichts der Debatte um diese Arbeitseinsätze dem Volk aufs Maul, entsteht der Eindruck, dass es sich tatsächlich um schwarze Pädagogik handelt: Natürlich kann man Menschen auch motivieren, indem man sie demütigt.

Bei einigen wird dies vielleicht sogar funktionieren, sie werden sich eher ein Bein ausreißen als sich weiterhin zum Affen machen zu lassen – anderen Langzeitarbeitslosen werden solche Tätigkeiten das letzte bisschen Würde rauben.

Es ist eben ein Unterschied, ob man sich aus freiem Willen entscheidet, eine Tätigkeit auszuüben, die womöglich weit unterhalb der eigenen Qualifikation liegt, ob man erhobenen Hauptes Büros putzen geht oder per Oktroi von einem Sachbearbeiter dazu verdonnert wird. In letzterem Fall muss man sich nicht wundern, wenn die Auslegeware auf einmal Ausbuchtungen hat: Es liegt an dem Dreck, den die Geknechteten in einem Anfall von passiver Aggression unter den Teppich gekehrt haben.

Nehmt jede Arbeit an!

Nun kommen sie also wieder, die guten, alten Schaffner und Kofferträger: Personal, das von der Wirtschaft längst eingespart und wegautomatisiert worden war und nun staatlicherseits gestellt wird. Eine verrückte Rolle rückwärts in Richtung Weimar, nur die hochgehaltenen Pappschilder „Nehme jede Arbeit an“ sind überflüssig geworden – denn diese Bekundung wird schlicht vorausgesetzt.

Wie schon „Blumfeld“ einst feststellten: Das ist soziale Marktwirtschaft, langweilig wird sie nie. Die Soziologin Barbara Ehrenreich, Verfasserin des Buches „Arbeit poor. Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft“ könnte wahrscheinlich nur den Kopf schütteln, obwohl ihr nichts Menschliches fremd ist: Undercover hatte sie über Monate im US-Niedriglohnsektor gearbeitet, als Putzfrau, als Serviererin in einem Schnell-Restaurant, als Verkäuferin bei Wal-Mart. Sie hatte Erschütterndes vorgefunden: Menschen, die trotz intensiven Arbeitens kaum in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das „Jobwunder“ Dienstleistungsgesellschaft funktioniert zwar, aber die Menschen zahlen einen hohen Preis dafür.

Barbara Ehrenreich hat das „Wunder“ gut überstanden und sitzt wieder in ihrer vermutlich geschmackvoll eingerichteten Wohnung. Bei uns fängt der Albtraum gerade erst so richtig an.