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Archiv-Artikel

Wie hässlich Bernd aussieht, wenn er lacht

VORMALS FREUNDE Sie haben sich auseinanderentwickelt, die alten Freunde, einer wird alt und der andere seit Neuestem täglich jünger. Dank seiner WG in der Neuköllner Weserstraße. Vorabruck aus Uli Hannemanns Roman „Hipster wird’s nicht“

Uli Hannemann

■ wurde 1965 in Braunschweig geboren und lebt seit 1985 in Berlin. 423 Texte sind seit 2001 in der taz erschienen, einmal war er Gegenstand einer Berichtigung. Er ist Mitglied der „Reformbühne Heim & Welt“ und bei „LSD – Liebe statt Drogen“.

■ Sein jüngster Coup, „Hipster wird’s nicht. Der Neuköllnroman“ erscheint genau heute im Berlin Verlag, kostet 9,99 Euro und hat 320 Seiten.

VON ULI HANNEMANN

Bernd wischt sich mit seinem braunen Schal den Bierschaum aus dem Neuntagebart. „Wo wohnst du jetzt noch mal: in der Sesamstraße?“

„Weeh-serr-straße, hab ich gesagt. Nuschle ich so?“

Ich weiß, dass Bernd mich genau verstanden hat. Seine Frage ist reine Schikane und ein absoluter Kommunikationskiller. Ich hasse es, wenn Leute meinen, auf Teufel komm raus witzig sein zu müssen, indem sie das eben Gehörte in scheinbar lustiger Form verfälscht wiedergeben. Bei ihm hat die Unhöflichkeit allerdings einen triftigen Grund. Er tut so, als habe er sich verhört, weil er die Gegend verabscheut. Abgrundtief.

„Wer Kreuzkölln sagt, trägt doch heimlich rosa Höschen“, ist seine Meinung, und insgeheim gebe ich ihm sogar recht. Oder ich würde ihm recht geben, wäre ich nicht zuletzt viel toleranter und flexibler geworden. Scheiß auf rosa Höschen, anything goes, blaue Höschen, keine Höschen, wir haben uns eben auseinanderentwickelt: Er wird alt und ich werde seit Neuestem jeden Tag ein Stückchen jünger. Unsere gemeinsame Vergangenheit liegt ohnehin unglaublich weit zurück.

Vor Jahren haben wir beide Arzneimittel für Apotheken ausgefahren, bis mir auf dem Ku’damm dieser verfickte Konfirmand vors Auto gelaufen ist. Ich war auch nicht ganz nüchtern, zugegeben, wenngleich der Blutalkoholgehalt gerade mal im unteren Promillebereich lag. Aber Justitia zeigt sich in solchen Fällen leider kleinlich. Seitdem fährt nur noch er.

„Blass bist du geworden.“ Bernd sieht mich prüfend an und bringt seine Worte, Terrakottaarmeen aus im Keramikofen gehärtetem Scheißdreck, in Stellung: „Blass und dünn. Also für deine Verhältnisse natürlich. Ich dachte, du warst an der Ostsee. Und wahrscheinlich isst du auch kein Fleisch mehr.“

„Ich esse auch kein Fleisch mehr.“

„Wegen der Tiere?“

„Nein, wegen der Mitbewohner.“

„Oh, Mann!“ Er schüttelt sich. Blickt wie ein strangulierter Hamster. Vielleicht sollte er mal nach seiner Schilddrüse sehen. Oder in den Spiegel. „Und du wohnst da echt mit so jungen Menschen zusammen?“ Er spuckt das Wortpaar „junge Menschen“ aus wie andere „alte Nazis“.

„Die sind total in Ordnung“, verteidige ich sie lahm. Sie und mich. „Natürlich ein bisschen chaotisch, klar. Bewusstsein, Stil, Geschmack – da fehlt es logischerweise noch an einem erwachsenen Konzept. Aber gerade deshalb kann ich da noch einiges bewegen. Das macht ja auch Spaß, zu leiten und Verantwortung zu übernehmen. Besonders den Jungs habe ich schon so viel beigebracht. Die wissen ja noch nicht mal, wie man richtig sauber macht. Und du müsstest nur mal sehen, wie Franziska an meinen Lippen hängt.“

„Franziska?“

„Die ist voll nett. Bei der wohne ich mit im Zimmer, seit ich vor Annabels beschissenen Launen getürmt bin – du kennst sie ja. Aber nur, bis das von Sören frei wird, wenn der für ein Erasmus-Jahr nach Barcelona geht.“

„Voll nett? Und in einem Zimmer? Und wie alt ist die Alte, wenn ich fragen darf?“

Eigentlich darf er nicht fragen. Mir fällt nur keine plausible Begründung ein.

„Fünfundzwanzig.“ Ich verbessere mich: „In knapp sechs Monaten wird sie sechsundzwanzig. Also im Januar.“

Komisch. Früher ist mir nie aufgefallen, wie unglaublich hässlich Bernd aussieht, wenn er lacht. Weit schlimmer noch als Annabel, wenn sie weint. Er verzieht sein Gesicht zu einer grauenhaften Fratze, aus der die schadhaften Zähne ragen wie getroffene Kirchtürme im Bombenkrieg. Dazu ein wieherndes Kreischen, das durch Mark und Bein geht. Ich sehe seine ungesund belegte Zunge und das flatternde Gaumenzäpfchen.

Warum tötet niemand diesen Mann? Hilfesuchend blicke ich mich um, doch an den anderen Tischen im Nirvana schenkt uns keiner Beachtung. „Noch ein Bier, Bernd?“, ruft Klara vom Tresen herüber. Offenbar missdeutet sie die Zeichen aus der Hölle. Bernd kann nicht antworten, weil er nach Luft schnappt.

„Mein lieber Schwan“, bringt er schließlich heraus. Er hechelt immer noch, sodass „lieber“ klingt wie „liehihihi“ und dann „Bär“. Außerdem sabbert er. Augenscheinlich kann er bei aller gespielten Geringschätzung seinen Neid nicht verbergen. Er nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Glas und fragt, ob „das gute Kind“ denn auch eine „schön rasierte Muschi“ habe. Um dann übergangslos zu einem biologistischen Diskurs über das Primatenmännchen im Allgemeinen anzusetzen: Das alte Alphatier, der Silberrücken, wie er im dichtesten Teil der Baumkrone sitzt, wo die besten Früchte hängen und die wenigsten Leoparden herumspringen. Dort nagelt er die schönsten Weibchen, je jünger, desto besser, während die anderen Männchen mit langen Fressen von den Nachbarästen aus zugucken. Doch irgendwann wird der Alte schwächer. Er kann nicht mehr so gut die Nächte durchmachen, der Silberrücken tut weh, die Weibchen tuscheln schon, und die jungen Männchen werden frech. Wenn er sich jetzt nicht zurückzieht, auf einen anderen Baum oder ins Nirwana, schubsen sie ihn gnadenlos vom Ast. Und unten wartet schon der Leopard und sagt Danke. Oder würde Danke sagen, hätte er nicht den Mund so voll. Bernd erklärt die Welt.

„Blass bist du geworden.“ Bernd bringt seine Worte, Terrakottaarmeen aus im Keramikofen gehärtetem Scheißdreck, in Stellung

„Gerd hat also recht“, schließt er seinen Vortrag. „Für so doof hätte ich dich nicht gehalten.“

Ich bin ja selbst ein großer Fan von biologistischen Ansätzen. Man kann damit alles erklären, alles rechtfertigen und alles in Schubladen schieben. Das mag ich. Schubladen sind notwendige Utensilien, um Ordnung und Sauberkeit zu schaffen. Auch im Kopf. Gerade im Kopf. Doch wenn andere sich daran versuchen, kann ich das überhaupt nicht leiden. Erst recht nicht bei Bernd. So ein frustrierter alter Sack.

Doch das Schlimmste kommt noch: „Ich kann mir echt nicht vorstellen, dass der Lolita beim Anblick von deinem morschen Mast das Fotzenwasser steigt.“

Ich korrigiere innerlich – schmutziger, alter Sack – und mache ein Häkchen dran. Dann trinke ich mein Bier aus und stecke mein Feuerzeug in die Zigarettenschachtel. Die Schachtel werfe ich in meinen neuen Stoffbeutel mit dem Slogan „Umverteilung: Jetzt!“. Den Beutel stopfe ich in die Seitentasche meiner Vintage-Forza (Flohmarkt am Boxi). Die Forza ziehe ich an, und als Letztes setze ich mir die neue Truckermütze auf den Kopf. Dann erst erhebe ich mich.

„Tritratralala – Kasperle ist wieder da“, kommentiert der müffelnde Greis meinen deutlich verbesserten Kleidungsstil.

„Ich glaub, ich komm nicht mehr in diesen Laden“, verkünde ich zum Abschied. „Hier riecht es doch in jeder Ecke nach Intoleranz, Tod und Verfall.“ So aufrecht und würdevoll, wie es mir noch möglich ist, nachdem ich mir gestern Abend beim unvorsichtigen Verkanten des Rasierers in die empfindliche Haut des Hodensacks geschnitten habe, schreite ich zum Ausgang.

„Hipster wird’s nicht“, höre ich Bernd hinter mir wiehern. „Hi-hi-hi-hipster wird’s nicht.“ Hinter mir schließt sich die Tür des Nirvana. Garantiert zum letzten Mal.