gammelfleisch und gammelmedien von WIGLAF DROSTE :
Nun schreien sie wieder: „Gammelfleisch!“, als sei das ein schönes Wort oder die Sache etwas Neues. Dabei ist der massenhafte Verkauf von verdorbenem Fleisch nur die Konsequenz aus der hiesigen Geschäftsordnung, deren oberstes Prinzip der Profit um jeden Preis ist. Solange das so ist, wird Tiermehl an Rinder verfüttert, die an BSE erkranken, und so lange wird auch so genanntes Gammelfleisch verkauft. Man nennt das freies Unternehmertum. Es hat das Gesetz auf seiner Seite.
Verwunderlich scheint viel eher die Aufregung darüber – aber auch der schrille Ton ist nichts als Geschäft. Medien, die nicht Aufklärung anbieten, sondern auf massenhafte, den Absatz oder die Quote erhöhende Hysterie setzen, brauchen den dauernden Skandal. Gestern war es die so ungeheure Bedrohung durch den Terrorismus, heute ist es verfaultes Fleisch, morgen wird dann eine andere Sau durchs Dorf getrieben, und übermorgen ist eh alles wumpe und versenkt im erinnerungsresistenten Nullkopf. Hauptsache Krakeel, der Anlass ist geschenkt. Es gibt im Konsumismus eben nicht nur Gammelfleisch, sondern auch Gammelmedien. Dass gerade die sich ins Stinkefleischgeschäft stürzen, entspricht ihrer eigenen Lügenlogik.
Wer seine Rübe jeden Tag mit Bild, Brüllradio und Gestörtenfernsehn vollprengelt, kann sich über Gammel im Fleisch nicht mit Recht beschweren. Der veritable Fraß entspricht dem medialen. Billigbilligbillig will es der Dauerkonsument, Parolen wie „Geiz ist geil!“ ahndet er nicht mit Boykott, Scheibeneinwurf oder stillem Vorübergehn. Sie gefallen ihm, und genauso steckt er sich jeden Dreck auch in den Mund und nennt das: essen. Dabei ist es nur Mangel an Selbstachtung und Verstand. Dass ein möglichst viel Gewinn abwerfen sollender Würgschmackofatz nichts taugen kann, ist leicht auszurechnen. Wer den Schangel erwirbt und verzehrt, begeht an sich selbst die Körperverletzung, zu der die Händler und Verkäufer mit Freuden Beihilfe leisten.
Wie Billigfleisch hergestellt wird und was es enthält, interessiert die Masse der Kundschaft nicht. Man kann es sagen und zeigen, aber die Wirkung ist von kurzer Dauer. Die Tiere, aus denen das Zeug gemacht wird, sind nichts als Fleischproduktionsrohmasse und werden ganz genau so traktiert, vulgo misshandelt. Kitsch mit Tieren ist mir ein Gräuel – aber gerade wenn und weil man Tiere später essen will, muss man sie doch vorher so behandeln und ernähren, dass es ihnen zu Lebzeiten möglichst bestens ergeht. Dass man in diese Freude etwas investieren muss, nämlich Bewusstsein, Achtung und also auch Geld, ergibt sich von selbst.
Die Wut auf die Hersteller und Distributeure giftiger, krankmachender Verneinungen des Wortes Lebensmittel ist groß, und der Wunsch, sie sollten das, was sie anderen zudachten, selbst aufessen, ist verständlich. Die Aufregung hat aber auch etwas Grundheuchlerisches. Wer ausgerechnet bei etwas so Elementarem wie dem Essen immerzu nur sparen will, liefert die dumme Nachfrage zum schmutzigen Angebot. Jede Wette: In ein paar Tagen wird ein anderes Thema die massenmedial durchseuchten Köpfe der Deutschen füllen, und dann werden sie wieder herzhaft in den Billiggammel beißen.