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Archiv-Artikel

„Ich fühle mich wohl in der Frauenecke“

COMIC Vor Ulli Lusts Wohnung am Helmholtzplatz häufen sich schicke Cafés und Kinderboutiquen mit niedlichen Namen. Drinnen, in ihrem gemütlich vollgestellten Arbeitszimmer mit Blick in den Hinterhof, serviert die Comiczeichnerin Holundertee, spricht über ihre Wiener Punkvergangenheit, Frauen in der Comicszene und überrascht damit, dass sie die Mütter vom Prenzlauer Berg in Schutz nimmt

Ulli Lust

■   Sie ist 1967 als Ulli Schneider in Wien geboren. Als Teenager gehörte sie zur dortigen Punkszene. Nach einer abgebrochenen Lehre als Modezeichnerin in Wien studierte sie an der Kunsthochschule Weißensee Grafikdesign und illustrierte zunächst Kinderbücher. Seit 1997 lebt sie am Helmholtzplatz. Seit 1998 publiziert sie unter dem Mädchennamen ihrer Mutter als Comiczeichnerin .

■  Ulli Lust war Gründungsmitglied der ComiczeichnerInnengruppe Monogatari (1999–2005), jetzt betreibt sie den Online-Comic-Verlag electrocomics.de. Ihre Spezialität sind Comicreportagen mit Alltagsthemen. Die Entwicklung ihres Kiezes dokumentiert sie ebenso wie aktuelle Modesünden oder belauschte Gespräche am Kaffeehaustisch.

■  Für ihre autobiografische Graphic Novel „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ (Avant Verlag, 2009) bekam sie den Max-&-Moritz-Publikumspreis 2010 und den Icompreis 2009. Derzeit arbeitet Ulli Lust an einer Comic-Adaption für den Suhrkamp Verlag.

■  Originalarbeiten von Ulli Lust und anderen Zeichnerinnen gibt es bis zum 9. Oktober im Rahmen der Gruppenausstellung des Spring-Magazins in der Galerie Neurotitan in der Rosenthaler Str. 39 zu sehen. Infos: www.neurotitan.de

INTERVIEW NINA APIN UND KIRSTEN REINHARDT FOTOS DAVID OLIVEIRA

taz: Frau Lust, im Arbeitszimmer einer Comiczeichnerin haben wir ein großzügiges Zeichenbrett erwartet – stattdessen sitzen wir an einem gewöhnlichen Küchentisch. Machen wir uns ein falsches Bild von Ihrem Arbeitsalltag?

Ulli Lust: Ich zeichne auf Papier, das nicht sehr groß ist, die Arbeit soll am Ende ja als Buch gedruckt werden und nicht in der Galerie hängen. Bücher wiederum sollen an die Größe der menschlichen Hand angepasst sein. Mein typischer Tag verläuft so: Ich schlafe lang, das ist der Vorzug des Prekariats. Um 11, 12 fange ich an zu arbeiten. Vormittags ist der Strich am konzentriertesten, ideal für Reinzeichnungen. Um vier oder fünf ein Nickerchen, bisschen Yoga, essen, spazieren gehen. Am Abend mache ich Vorzeichnungen mit Bleistift, die ich am nächsten Tag am Leuchttisch auf Papier durchpause.

Hört sich etwas eintönig an.

Ideal ist ein Tag, an dem ich nicht reden muss, es kann schon mal vorkommen, dass ich zwei Tage keine E-Mails lese. Zum Glück habe ich kaum Jobs, wo es auf eine schnelle Antwort ankommt. Ich konzentriere mich zunehmend auf längere Arbeiten: Momentan sitze ich an einem Buch, für das ich zwei Jahre brauchen werde.

Macht Ihnen die Einsamkeit nichts aus?

Im Gegenteil, ich bin sehr gern allein. Ich habe mir diesen Beruf ausgesucht, weil man introvertiert arbeiten kann. Die Vorstellungskraft funktioniert besser, wenn ich nicht kommuniziere. Manchmal fahre ich aufs Land und spreche eine Woche mit niemandem. Dann fällt es mir viel leichter, Dinge zu visualisieren. Und Visualisierung ist ja die Hauptaufgabe, noch vor dem Zeichnen.

Sie sind bekannt für genau beobachtete Alltagsszenen – dient Ihr täglicher Spaziergang der Materialsammlung?

Ja, das Schweigen geht beim Spazierengehen mit einem gewissen Voyeurismus einher. Ich sage nichts und höre umso genauer zu, was andere reden. Aufmerksamkeit für das Alltagsgeschehen ist die Basis meiner Arbeit.

Besonders aufmerksam betrachten Sie den Helmholtzplatz, an dem Sie seit 1997 wohnen und dem Sie die Langzeitstudie „Berlin Helmholtzplatz 1998 + 2004“ widmeten. Wie sehen Sie die Veränderung?

Ich wohne seit einigen Jahren in einer sanierten Wohnung und habe großen Gefallen an der Zentralheizung gefunden. Den sanierten Häusern fehlen die Lebensspuren, aber ich bin zuversichtlich, dass sich bald wieder welche einstellen. Zum Zeichnen suche ich ohnehin keine malerischen Motive. Ich möchte Alltägliches, etwas, das einem so gewöhnlich scheint, dass man es gar nicht mehr sieht, auf dem Blatt in ein magisches Objekt zu verwandeln.

Die drei alten Damen, die auf einem Bild über die Straße laufen, wirken wie aus einer anderen Zeit – gibt es die hier noch?

Tatsächlich sieht man kaum noch alte Menschen hier. Ich hatte mal Besuch von Freunden aus Wien, die nach einem Spaziergang fragten: Wo habt ihr eure ganzen Alten versteckt? Ich glaube, die sind alle in der Herbstlaube – ein Seniorentreff in der Dunckerstraße, wo ich früher gewohnt habe. Die haben immer gekichert im Garten. Und ich habe mich beschwert, wenn sie Lärm gemacht haben (lacht).

Der Helmholtzplatz gilt vielen als Paradebeispiel von Gentrifizierung. Was sagen Sie dazu?

Wandel ruft immer Kritik hervor. Tatsache ist aber auch, dass sich viele ostdeutsche Städte diese Art von Gentrifizierung wünschen würden. Ich kann mir schlimmere Arten von Transformation vorstellen, als die, die hier passiert ist. Ich war vorher in einer anderen Wohnung, als die saniert wurde, bekam ich eine zugeteilt, die genauso billig ist. Das war gut abgefedert, es gab Bürgerämter, die die Interessen der Bewohner vertraten. Allerdings muss man sehen, dass viele der politischen Instrumente, die diese gute Abfederung gewährleistet haben, mittlerweile abgebaut sind. Prenzlauer Berg ist kein Sanierungsgebiet mehr und auch das Quartiersmanagement gibt es nicht mehr. Wir werden sehen, wohin sich der Bezirk entwickelt. Nebenbei bemerkt: Diese Polemik gegen die Mütter vom Prenzlauer Berg finde ich ganz untergriffig!

Sie meinen die Mediendebatte, in der die „Latte-macchiato-Mütter“ vom Prenzlauer Berg wegen ihres konservativen Lebensmodells kritisiert werden?

Mich erschreckt, wie derzeit auf diese Mütter eingeprügelt wird. Klar sind manche vielleicht etwas naiv. Aber Kinder großzuziehen ist eine wahnsinnige Arbeit. Und über Mütter herzuziehen ist nun wirklich das Leichteste auf der Welt. Ich will die Mütter hier mal in Schutz nehmen. Als sich herausgestellt hat, dass zu viele Schulen abgewickelt worden sind, haben nicht alle nur geheult, sondern alternative Schulen gegründet. Also, die schlechtesten jungen Menschen sind das nicht.

Aber Sie machen sich auch ein bisschen lustig in Ihren Comics. Ein Kind sagt: „Ach nö, Mama, nicht schon wieder ins Café!“

Manchmal muss ich lachen, da haben sie sich super liberale Lebensläufe zurechtgelegt. Und da stehen sie dann und müssen autoritär mit ihren Kindern schimpfen. Aber so zu tun, als wären das alles verwöhnte Yuppie-Mütter, die ihre Lords in 1.000-Euro-Buggys spazieren führen, das ist doch sehr verkürzt.

Sie haben mit Anfang 40 einen 25-jährigen Sohn. In Ihrem Kiez sieht man viele Frauen Ihres Alters mit Zweijährigen an der Hand. Was empfinden Sie da?

Sie tun mir ein bisschen leid. Sie haben noch diese zwanzig Jahre Arbeit vor sich: Es ist natürlich schön, Kinder zu haben. Aber auch eine anstrengende, undankbare Arbeit ohne Erfolgsgarantie. Ich selbst war eine Wochenendmutter, mein Sohn hat immer nur in den Ferien bei mir gewohnt. Ich ziehe den Hut vor allen Vollzeitmüttern und -vätern.

Wir entdeckten in Ihren Bildern eine gewisse Boshaftigkeit. Entlarven Sie die Leute oder entlarven die sich selbst?

Ich hoffe, eine gewisse Menschenzugeneigtheit zu besitzen, auf der ich aufbauen und auch mal böse sein kann. Ich zeichne gerade eine Modekolumne, in der ich Trends kommentiere. Da haben wir zum Beispiel diesen Mann …

bei dem der Bauch unter dem modischen Shirt spannt …

… der fühlt sich toll, ist aber für sich schon Satire. Oder diese Frau, die eine eigentlich ganz blöde Hose anhat, sich aber wahnsinnig schön und cool fühlt. Beide sind nach der neuesten Mode gekleidet. Daneben eine stark übergewichtige Frau mit einer Jacke, auf der steht: „Wild and Hot“. Die ist allein schon ein Witz. In meiner Kolumne kann ich sie aber nicht zeigen, weil die beiden Schönen daneben über sie ohnehin schon die Nase rümpfen. Ich mache hier nur Witze über die Schönen.

Ihr Comic-Roman „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ handelt viel von Ihnen selbst: Zwei minderjährige Wiener Punkerinnen, die ohne einen Cent nach Italien durchbrennen. Eine davon waren Sie. Mit dem Buch erlangten Sie internationale Bekanntheit, wie fühlt sich das an?

Wahnsinnig erleichternd. Ich habe mich erst spät dem Comic zugewandt, es war mir nie klar, ob ich es hinkriegen würde, eine Existenzberechtigung als Comiczeichnerin zu erlangen. Jetzt habe ich sie! Meine Arbeit ist nicht mehr Selbstverwirklichung – ich habe das Gefühl, dass sie auch für andere einen Nutzen hat.

Ihre Reiseerlebnisse sind sehr persönlich. Und teilweise drastisch: Bedrohung, Drogen, Vergewaltigung … Wie waren die Reaktionen in Ihrem Umfeld?

Erstaunlich positiv. Meine Eltern haben das Buch nicht gelesen, auf meine Bitte hin. Ich habe ihnen die Stellen gezeigt, in denen sie selbst vorkommen und erklärt, was drumherum passiert. Meine Mutter meinte dann: „Ich hab’s einmal durchgemacht, das reicht. Ich muss das kein zweites Mal lesen.“ Dann hat sie gelächelt, den Arm um meinen Sohn gelegt und gesagt: „Es ist ja nochmal alles gut gegangen.“

Im Hauptteil der Geschichte, brennen Sie mit Ihrer Freundin über die grüne Grenze nach Italien durch, Sie nehmen Drogen, geraten dann noch in die Fänge der Mafia.

Meine Mutter weiß, dass ich viel Blödsinn gemacht habe. Aber das sind Sachen, die man über seine Tochter nicht lesen will. Mein Sohn hat das Buch gelesen und fand es cool. Er ist auch bei meinen Eltern aufgewachsen, in einem kleinen Dorf. Für ein Kind ist das gesund, es gibt einen stabilen Rahmen. Aber als Jugendlichem hat es ihm gefallen, eine solche Mutter zu haben. Die ausgebrochen ist.

Wie war es eigentlich, sich mit Anfang Vierzig ins eigene 17-jährige Ich zurückzuversetzen?

Wahnsinnig peinlich und unangenehm – für mich als Person. Aber für mich als Autorin war es super. Das Allerpeinlichste, das sind die lustigsten Geschichten: Haha, schaut mal, wie blöd ich war. Selbstironie ist gut für den Tonfall. Zugleich aber, als ich die dramatischen Situationen zeichnete, wurde mir umso klarer, in welcher Gefahr ich damals geschwebt bin. Als 17-Jährige habe ich die Gefahr bewusst gesucht – in der Pubertät ist man ja von Natur aus eine Borderline-Persönlichkeit. Mich hat damals die pure Abenteuerlust getrieben. Später dachte ich: Gott, das hätte so schiefgehen können! Zum Glück war mein Sohn ganz vernünftig, an abhauen dachte er nie.

Können Sie sich im Nachhinein noch verstehen?

Ja und nein. Im Comic überwiegen die problematischen Szenen, was vor allem eine dramaturgische Entscheidung war. Ich kann mich auch noch an unglaubliche Freiheitsmomente erinnern. Auch das Dramatische hatte für mich als 17-Jährige etwas Ekstatisches – es war ja erwartbar, dass Probleme kommen werden. Wir hatten nie damit gerechnet, nur am Strand zu sitzen und die Füße hochzulegen.

„Ich bin sehr gern allein. Ich habe mir diesen Beruf ausgesucht, weil man introvertiert arbeiten kann“

Sie haben Ihren bislang größten Erfolg als Comiczeichnerin mit dieser sehr persönlichen, weiblichen Geschichte erzielt. Haben Sie Angst, dadurch in der „Frauenecke“ zu landen?

In der Frauenecke fühle ich mich sehr wohl, ich lese gern über Frauen. Ich will mehr und größere Frauenecken!

In der Comicszene sind Sie eine von wenigen Frauen. Wie fühlen Sie sich in der Minderheit?

Ich habe mich als Jugendliche in der Punkszene bewegt und bin es gewohnt, mit vielen Männern zu tun zu haben. Dass die Comicszene von Männern dominiert wurde, lag an den vorrangigen Themen: Abenteuer, Superhelden, Kämpfe und Gewalt. Die männlichen Kollegen haben uns Frauen jedenfalls mit offenen Armen empfangen, wahrscheinlich war ihnen selbst schon langweilig. Wir Autorinnen erweitern das inhaltliche Spektrum ganz enorm.

„Comics sind doch Kinderkram“: Haben Sie mit solchen Vorurteilen noch zu kämpfen?

Es wird besser. Man muss bedenken, dass Comic ein relativ junges Medium ist, knapp über 100 Jahre. Es ist eine noch jüngere Erscheinung, die sequenzielle Bilderzählung für Inhalte zu nutzen, die man auch auf dem „normalen Buchmarkt“ finden könnte. Wir befinden uns in einer Pionierphase und ich profitiere davon. Man hat das Gefühl, zur kulturellen Entwicklung beitragen zu können. Wenn es nur um Superhelden und harmloses Entertainment ginge – also jene Themen, die laut Klischee besonders für den Comic geeignet sind –, ich würde keine Comics machen.

A propos Kultur: Wie halten Sie es als Exilösterreicherin eigentlich mit Ihrem Heimatland?

Abgesehen vom Essen vermisse ich nichts. Ich fühl mich hier österreichischer, als ich mich in Österreich gefühlt habe. Weil man hier immer erklären muss, dass man nicht böse und zynisch ist, sondern nur witzig sein möchte. Die österreichische Art, über alles herzuziehen, inklusive dieser kleinen masochistischen Anwandlungen, fällt mir hier erst richtig auf.

Zurück wollten Sie nie?

Nein, ich fühle mich in Berlin sehr, sehr wohl. Ich bin richtig aufgelebt, als ich mit 28 hierher kam. Eigentlich wollte ich nur ein halbes Jahr bleiben, aber die Stadt hat mir so gutgetan, dass ich geblieben bin. Berlin hat eine sehr anregende, aufgeschlossene Atmosphäre, seit der Große Kurfürst die ganzen Ketzer und Revoluzzer hergebracht hat.

Und irgendwann werden Sie selbst eine alte Dame vom Helmholtzplatz.

Das fände ich super. Ich kann mir gut vorstellen, hier zu bleiben, ich mag diese Ecke sehr. Wenn ich aus Wien komme, vom Bahnhof, und die Stargarder Straße hochgehe, bin ich glücklich.