: „Der Narr war sein Talisman“
NACHRUF Der am 28. September im Alter von 62 Jahren verstorbene Renato Grünig zählte zu den beliebtesten Schauspielern in Bremen. Sein Freund und Wegbegleiter Pit Holzwarth sagt, was er an ihm bewunderte
war zwölf Jahre Direktoriumsmitglied der Bremer Shakespeare Company, bevor er Intendant des Theaters Lübeck wurde Foto: Theater
taz: Herr Holzwarth, warum haben Sie Renato Grünig mitgenommen, als Sie von der Bremer Shakespeare Company nach Lübeck wechselten?
Pit Holzwarth: Weil wir eine gute Arbeitsbeziehung und Freundschaft hatten, auf einer extrem flachen Hierarchie-Ebene kommunizieren konnten als Regisseur und Schauspieler. Meine ersten drei Regiearbeiten habe ich mit ihm gemacht, ohne seine Unterstützung wäre ich gar nicht dort, wo ich heute bin. Außerdem brauchte ich ihn als Vorbild fürs Ensemble, er war einer der wenigen älteren Kollegen, die ich kennengelernt habe, die nicht zynisch oder Alkoholiker geworden sind, sondern offen, neugierig blieben. Da die Schauspielausbildung ja eine ist, bei der man am besten durch Abgucken lernt, war Renato gerade bei den jungen Kollegen besonders beliebt, weil man bei ihm eben sehr viel abgucken konnte und er sehr gern bei sich abgucken ließ.
Was zeichnete ihn künstlerisch aus?
Seine hohe Fähigkeit, konzeptionell zu denken, seine Lust auf neue Regisseure. Er konnte sich immer wieder naiv machen, sich einlassen und dann bedingungslos in den Dienst einer Inszenierung stellen, weil er keine Angst kannte, sich selbst dabei zu verlieren. Hinzu kommt die hohe Emotionalität, mit der er Figuren zeichnete. Er war mein Idealtypus eines Schauspielers: ein Verwandlungsspieler, der lange Wege geht, um seine Figur zu erkunden.
Grünig begleitete seine Rollenfiguren nicht durchs Stück, sondern nahm sich ihrer hundertprozentig an?
Ja, er machte sich bei aller Spielleidenschaft nie über eine Figur lustig, wollte immer genau wissen, warum die so sind, wie sie sind. Er war ein begnadeter Porträt-Künstler – im Übrigen auch zeichnerisch. Und kabarettistisch. Den Richling, Kohl, die Merkel machte er perfekt nach, ohne sie zu denunzieren. In Lübeck haben wir ihn perfekt als Loki Schmidt auf der Bühne erlebt.
War er ein klassischer Komödiant?
Ja auch, der „Narr“, die Skulptur auf dem Bremer Leibnizplatz, war sein Talisman, den grüßte er immer, wenn er vorbeifuhr.
Grünigs Schauspielkunst versuche „Humor mit dem Gedanken des Anarchischen zu verbinden“, schreibt die Shakespeare Company in ihrem Nachruf. Stimmt das?
Ja, Renato war auch Anarchist, mischte gern auf, war ein streitbarer Mensch im positivsten Sinn und mit klug egoistischem Ansatz: sein Individualität gerade als Künstler genauso wichtig zu nehmen wie seine politischen und sozialen Überzeugungen.
Im letzten Spielzeitheft antwortete er auf die Frage, als was er im Falle einer „negativen Karma-Bilanz“ wiedergeboren werden möchte: „als Schimpanse“. Wie könnte er das gemeint haben?
Die Bremer Shakespeare Company wurde von Grünig mitbegründet. Er arbeitete ferner fürs Radio, als Film-Darsteller und als Autor und Regisseur bei Stücken mit wie „Rio Reiser – der Kampf ums Paradies“.
■ Als Gastdozent für szenische Darstellung unterrichtete er ab 2001 an der Hochschule für Künste Bremen.
■ Nach seinem Wechsel ans Theater Lübeck 2007 war Grünig dort einer der Stars. „Er brillierte unter anderem als Mephisto in ,Faust’. Er spielte den Willy Loman in ,Tod eines Handlungsreisenden’ (...) und hat sich den Lübeckern direkt ins Herz gespielt“, heißt es in einem Nachruf des Lübecker Theaters.
■ Seine Schauspielausbildung erhielt er an der International Theatre School Jacques Lecoq in Paris und beim Lee Strasberg Theatre & Film Institute in New York. Grünig hinterlässt eine Frau und einen Sohn. FIS / FOTO: Theater
Das war eine Schauspielübung seines Lehrers Jacques Lecoq: Man musste sich ein Tier aussuchen, das man darstellen und in der Darstellung zunehmend vermenschlichen sollte. Da wählte Renato den Schimpansen. Nicht nur, weil er dessen Bewegungen bewunderte, sondern auch dessen Faulheit, denn faul sein, das schaffte Renato einfach nicht.
Im Konflikt zwischen jüngeren und älteren Ensemblemitgliedern, die zur Spaltung der Bremer Shakespeare Company führte, hat sich Grünig immer um Neutralität bemüht. Warum?
Er war nicht harmoniebedürftig, ihm ging es auch nie darum, Recht zu haben oder zu behalten, er wollte immer nur anregende Arbeitsbeziehungen, Grabenkämpfe waren ihm dabei zutiefst verhasst. INTERVIEW: JENS FISCHER