: Anarcho-Kaffee für die Freiheit
Ein anarchistisches Kollektiv importiert tonnenweise Bohnen, röstet, und verkauft den Kaffee – und unterstützt dadurch die Zapatistische Revolution im mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Mitten in der Marktwirtschaft wächst der Betrieb rasant
VON JOHANNES HIMMELREICH
Mehr als 100 Tonnen in diesem Jahr – sechs Schiffscontainer voller Kaffeebohnen. „Im nächsten Jahr werden es 150 Tonnen sein“, sagt Andreas Felsen und schaut über die Kartonstapel. „In zwei Monaten ziehen wir um, die Halle wird zu klein.“ Es riecht nach Pappe in der Lagerhalle, versteckt hinter Werkstätten und Händlern, die gebrauchte Autoreifen und Unfallautos aus dritter Hand verkaufen. An einem breiten Tisch am Fenster packt Pingo, wie Felsen schon immer genannt wird, silber- und goldfarbene Päckchen aus großen Kartons in kleinere auf dem Tisch. Kaffee aus der Hochlandregion Chiapas in Mexiko. Pingo ist Teil eines Kollektivs, wie sie sich selbst nennen, das mit dem Verkauf von Kaffee aufständische Bauern in Mexiko unterstützt. Aus der Lagerhalle im Hamburger Stadtteil Ottensen verschickt er mit seinem Kollektiv „Café Libertad“ Päckchen quer durch Europa.
Der Kaffee hat seine Wurzeln im Aufstand: Am 1. Januar 1994 besetzten Kämpfer der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) fünf Bezirkshauptstädte in Mexiko und protestierten gegen das nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta). „Tierra y Libertad“, Land und Freiheit, heißt die Forderung der Rebellen bis heute. Der Regierung erklärten sie den Krieg. Pingo kaufte sich ein Flugticket nach Mexiko, „Ich wollte sie unterstützen“, sagt er. Solidarität mit den aufständischen Gemeinden in Chiapas – seine Motivation ist bis heute die gleiche. 1999 gründete er das Kollektiv „Café Libertad“, im ersten Jahr setzten sie fünf Tonnen Kaffee um. Seitdem stieg der Umsatz in jedem Jahr um satte 60 bis 70 Prozent.
„Handel kann gar nicht fair sein, und den so genannten fairen Handel wollen wir auch nicht machen“, sagt Pingo. Den Begriff sieht er negativ belegt, da Ende der 80er Jahre die Fair-Trade Preise der großen Organisationen für die Kaffeebauern gleich geblieben sind: Rund 1,20 US-Dollar für ein britisches Pfund Rohkaffee, rund 1,40 Dollar pro Pfund Bio-Kaffee. Den drei zapatistischen Kaffee-Kooperativen in Mexiko, mit denen die Hamburger zusammenarbeiten, bezahlt Café Libertad rund 20 Prozent mehr als diesen Fair-Trade Preis – „solidarischer Handel“, sagt Pingo.
Im März kam kurz nach Beginn der Ernte der erste Container aus Mexiko, im Juni der letzte. Die grünen, ungerösteten Kaffeebohnen lagern im Freihafen. Solange sie noch nicht geröstet sind, sind sie lange haltbar.
„Das wichtigste am Kaffee ist die Röstung“, sagt Pingo. Entscheidend ist die Dauer, langsam soll es gehen, damit die Aromastoffe erhalten bleiben. Hellere Röstungen für Filterkaffee, etwas dunkler für Espresso und noch dunklere für Latte Macchiato. „Dann entsteht eine leicht karamellige Note, was sich gegen die Milch durchsetzt“, sagt Pingo. Mehr als zehn verschiedene Arten Kaffee verkauft Café Libertad, außerdem Tees, italienischen Wein aus einer anarchistischen Kommune in Apulien, Met und bald auch Cola – mit Zucker von aufständischen Gemeinden in Costa Rica.
„Espresso?“, fragt Pingo. Neben der Kaffee-Theke stehen kleine Türme aus Büchern in einem Regal. „Ja, die Bücher“, sagt er, während der Espresso in die Tassen läuft, die seien noch ein Nebenjob. Alle acht Mitglieder des Kollektivs sind in der anarcho-syndikalistischen Freien Arbeiter Union (FAU) organisiert. T-Shirts und Bücher rund um anarchistische Themen vertreiben sie gleich mit. Die acht Mitglieder des Kollektivs verstehen sich als politische Gruppe und nicht als Händler – basisdemokratisch und selbstverwaltet. Die Firma gehört allen und jeder bekommt den gleichen Stundenlohn.
Anarchisten in der liberalen Marktwirtschaft? „Ja“, sagt er und zögert kurz, das sei tatsächlich ein Konfliktthema – doch der Pragmatismus habe gesiegt. „Wir müssen irgendwie damit umgehen – wie, das wird immer wieder reflektiert.“ Den Druck, den Märkte ausüben, will man vermeiden. Rabatte für große Kunden gewähren sie nicht, den Platz in den Regalen der Einzelhandelsketten und Discounter überlassen sie damit den anderen, zum Beispiel der Gepa. „Wir haben nicht das Ziel, möglichst viel Kaffee zu verkaufen“, sagt Pingo – und doch wird es immer mehr. 2.000 Kunden hat Café Libertad momentan – ohne Akquise oder Werbung. Kunden gewinnt das Projekt mit Info-Veranstaltungen zum Thema Zapatisten in Mexiko, die die Initiative unterstützen wollen. 44.000 Euro an Fördergeldern hat Café Libertad bereits weitergeleitet. Davon wurden eine zahnärztliche Notfallklinik und eine Mikroklinik zur Versorgung von Flüchtlingen gebaut und Gemeinden in den Bergen „Montes Azules“ finanziell unterstützt.
Außer den Solidaritäts-Kaffees für Mexiko hat Café Libertad auch Bohnen im Angebot, mit denen der Käufer linke Initiativen in Norddeutschland fördern kann: Zehn Cent pro Päckchen gehen dann an zapatistische Projekte in Chiapas und weitere zehn Cent an Projekte in Norddeutschland. Zum Beispiel die Sorte „Störtebeker“ – „Gegen die Pfeffersäcke! Die revolutionäre Antwort der Initiative auf bürgerlichen Nachhaltigkeits- und Agenda-Schnickschnack“, steht kämpferisch auf der Packung. Eine wirkliche Solidarität mit den Aufständischen in Chiapas könne am besten mit dem Aufstand in anderen Ländern geleistet werden, so lautet die Grundidee der Zapatisten, der Pingo und seine Kollegen hier folgen wollen.
Obwohl die Deutschen ganz offen die Guerilla-Bewegung der Zapatisten unterstützen, gab es mit der mexikanischen Regierung noch keine Probleme – weder bei der Visavergabe noch bei der Einreise oder im Land. „Vielleicht sind wir dafür dann doch noch zu klein“, sagt Pingo.