ITALIEN: TELEFON-ÜBERWACHUNG NICHT ÜBERWACHT : Zu viele gute Abhör-Gründe
Waren die jetzt in Italien Verhafteten bloß Spione auf eigene Rechnung? Oder ging es ihnen um Wirtschaftsspionage im Dienste höherer Auftraggeber, womöglich gar um Politspionage, um die Geschicke des Landes zu beeinflussen? Keiner weiß das bisher.
Eines aber wissen wir: Italien bietet das ideale Umfeld für die illegalen Aktivitäten, die jetzt aufflogen. Es gehört fast schon zum guten Ton unter Leuten, die sich für wichtig genug halten, über das Knacken in der Leitung zu witzeln, denn jeder vermutet: Abgehört wird an allen Ecken und Enden.
Die Scherze sind berechtigt. Schon im Kalten Krieg entstand im Land mit der größten westlichen Kommunistischen Partei ein riesiger Überwachungsapparat, ein kaum noch kontrollierter Staat im Staat. Zusätzlich drohten in den Siebzigerjahren noch der Links- und der Rechtsterrorismus. Vielen Bürgern erschien es deshalb plausibel, dass Telefone flächendeckend angezapft werden. Spätestens die Mafiagefahr machte die Abhörerei dann auch für die Linke akzeptabel.
Akzeptabel auch erschien es vielen, dass bei jedem größeren Skandal auf mysteriösen Wegen Abhörprotokolle an die Presse gelangten. Da mag der Datenschutzbeauftragte noch so laut wettern, da mögen sich die Betroffenen noch so bitter über den Eingriff in ihre Privatsphäre beklagen – wirklich hat sich nie jemand an dieser Praxis gestört, so lange sie nicht das eigene politische Lager betraf.
Eben dieses „Umfeld“ fand der frühere Sicherheitschef der Telecom vor, als er zur Zweckentfremdung seines Arbeitsplatzes schritt. Offenbar wunderte sich keiner der Telecom-Angestellten, die mit dem Lauschen betraut waren. Und offenbar wunderte sich auch niemand im Geheimdienst, dass dessen zweiter Mann mit einigen alten Freunden aus der Privatwirtschaft „Staat im Staat“ spielte. Nur wenn sich in Italien das Bewusstsein durchsetzt, dass Überwachung in der Demokratie enge Grenzen und scharfe Kontrollen erfordert, müssen die Bürger nicht mehr über die knackende Leitung witzeln und auf den nächsten Abhörskandal warten. MICHAEL BRAUN