: berliner szenen Heiteres zur Nacht
Fahrrad und Schlüssel
Kennen Sie den? Eine Frau ist neu in der Stadt. Sie kriegt ein klapperiges Fahrrad geschenkt, dem ein Licht fehlt. Sie sucht das nächstgelegene Fahrradgeschäft in der Kastanienallee auf. Man schickt die Frau in die Werkstatt. Ein beleibter Mann erscheint an der Tür. Sie sagt: „Guten Tag, ich hätte gern ein Licht.“ Der Mann betrachtet ihr Fahrrad und wird wütend: „Wir machen hier keine Scheißreparaturen!“ Verunsichert fragt die Frau: „Das ist doch eine Fahrradwerkstatt?“ Der fette Mann wird laut: „Lass dir das von einem Freund machen!“
Es regnet, die Frau ist müde und mit der sublim sexistischen Anspielung überfordert. Sie ist nun ebenfalls sehr wütend. Den Tränen nah, versucht die Frau, die Tonlage ihrer Stimme zu kontrollieren, doch die springt wie eine Amplitude rauf und runter: „Aber ich habe keine Freunde hier!“, krächzt sie. Der böse dicke Mann brüllt: „Jetzt fang nicht auch noch an zu heulen!“ Die Frau heult los und radelt davon.
Und kennen Sie den? Eine Frau steht abends um neun vor ihrer Wohnung. Um halb elf ist sie verabredet. Sie merkt, dass sie ihren Wohnungsschlüssel verloren hat. Ihr Vermieter sitzt mit dem Ersatzschlüssel im Ausland. Die Frau trifft ihre Bekannten und sucht eine Bar auf. Sie betrinkt sich und geht mit in eine fremde Wohnung in der Nähe des Ostbahnhofs, wo sie zu Milva tanzt und irgendwann ins Koma fällt. Morgens eilt die Frau verkatert zur Arbeit. Sie verlässt ihren Arbeitsplatz früher als gewöhnlich, um bei Tageslicht in ihre Wohnung einzubrechen. Der Schlüsseldienst wird ihre Wohnungstür nicht aufbohren, denn ihr Vermieter ist nicht gemeldet. Sie macht sich selbst auf die Suche nach einem Bohrer. Irgendwann ist sie drin. Den kannten Sie womöglich. ARIANE VON GRAFFENRIED