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Archiv-Artikel

Mission übererfüllt

Premiere an der Komischen Oper: Andreas Homoki schießt mit seiner Inszenierung von Brechts/Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ übers Korrektheitsziel hinaus

Es sind keine guten Zeiten für Bertolt Brecht, auch nicht an der Komischen Oper. Andreas Homoki, der Intendant, hat alles möglichst richtig machen wollen. Sogar die Regieanweisungen sind als Leuchtschrift eingeblendet, und der Dramaturg hat mit den Erben von Kurt Weill verhandelt, um eine Fassung spielen zu dürfen, die möglichst nahe an die Absichten der beiden Altmeister herankommt. Man möchte gern glauben, dass sie genau so gemeint war, wie sie nun gespielt wird – als Antioper über das Streben nach menschlicher Glückseligkeit. Aber was auf der Bühne geschieht, ist so langweilig sozialdemokratisch, dass man es dem großen Dichter Brecht einfach nicht zutrauen mag.

Homoki meint, es gehe nur um den zeitlosen Konflikt zwischen Freiheit und Solidarität. So ist seine Inszenierung wirklich ein Lehrstück geworden, wenn auch nicht über die Unmoral des Geldes, sondern darüber, dass es nicht reicht, allein den Absichten von Komponisten und Textdichtern gerecht werden zu wollen. Wir wissen längst viel mehr über die Korrumpierbarkeit des Menschen durch den Kapitalismus, und auch über Kurt Weills Komposition ist die Geschichte der Unterhaltungsmusik hinweggegangen. Dirigent Kirill Petrenko nimmt sie wörtlich und lässt sie stur wie ein Uhrwerk vor sich hin stampfen. Vielleicht war sie wirklich so gemeint, als illusionslose Antithese zum großen Gefühl der Oper. Nur wird das nicht mehr entlarvt, es wird bloß die Mechanik eines Stücks ausgestellt – als Arrangement von Thesen.

Das ermüdet, nicht so sehr, weil die Botschaft so schlicht ist, sondern weil Homoki darauf verzichtet hat, den Figuren, die sie verkünden, ein Eigenleben einzuhauchen. Wer ist dieses Gangstertrio, das die Netzestadt in der Wüste gründet, wer ist dieser Holzfäller Jim Mahoney, die Nutte Jenny? Der ständig im sturen Takt der Musik herumtanzende Chor saugt sie auf, ohne ihnen ein Chance zu geben, auf diese Frage eine eigene Antwort zu finden. Sie singen alle sehr korrekt, aber sie bewegen nichts, weil sie niemand sind. Dramatische Spannung kann so nicht entstehen, und ungelöst bleibt die alte Frage nach Brechts Theaterlehre zurück. Man muss sie neu und mit mehr Mut zur Kritik lesen, als Homoki das getan hat. Der Premierenapplaus war trotzdem lang und freundlich. Homoki hat es ja auch wirklich gut gemeint.

NIKLAUS HABLÜTZEL

Nächste Aufführung morgen, 19 Uhr; weitere Aufführungen im Oktober, November und Dezember