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Archiv-Artikel

Die Irrfahrt der „Orion“

Vor sieben Jahren erfüllte sich Susanne von Gersdorff einen Traum: Sie kaufte ein altes Schiff, richtete es her und lebte fortan auf dem Wasser. Dann wurden sie und die anderen Bewohner einer ehemaligen Spandauer Werft von ihrem Liegeplatz geklagt

von Uta Falck

Gemütlich ist es auf der „Orion“. Früher beherbergte das Schiff Bauarbeiter, die die Wasserstraßen der DDR instand hielten. Schwimmende Monteursbetten quasi. 14 Menschen wohnten in sieben winzigen Schlafkabinen, es gab ein Gemeinschaftsbad und eine Messe. Seit sechs Jahren lebt die Familie von Gersdorff in dem 30 Meter langen, blau-weiß gestrichenen Hausboot. Die großzügig verglaste Messe ist nun ein Wohnzimmer mit herrlichem Wasserblick.

Erst vor vier Monaten hat die „Orion“ im Ölhafen Spandau festgemacht. Doch wenn Susanne von Gersdorff an die Zukunft ihres Schiffes denkt, sieht sie ein großes Fragezeichen: Zum Jahreswechsel endet die Liegegenehmigung für das Hausboot. Einen neuen Platz zu finden, scheint derzeit fast unmöglich. „Warum hat die Stadt so ein Problem damit, Hausbooten eine Liegegenehmigung zu erteilen?“, fragt sich die 43-Jährige.

Im Jahr 1999 erfüllte sich die passionierte Wassersportlerin den Traum vom Wohnen auf dem Wasser. Sie kaufte das Bauhüttenschiff, Jahrgang 1976, das sie als „schwimmenden Schuhkarton“ bezeichnet: „Nicht schön, aber gepflegt.“ Dieses hässliche Entlein, das sich im Innern als schöner Schwan entpuppt, hat einen unschätzbaren Vorteil: Es wurde schon als Wohnschiff konstruiert. Das erspart teure Um- und Einbauten.

Von Gersdorff, die am Institut für Organische Chemie der FU tätig ist, renovierte ihr Schiff in einer Spandauer Werft. Gemeinsam mit einem Freund entfernte sie Wände und erneuerte Anstriche, Fenster und Sanitäranlagen, vieles ohne Hilfe von Fachkräften: „Ich versuche es immer erst selbst“, sagt sie.

Für die Zeit der Sanierung schloss von Gersdorff einen Mietvertrag mit dem Werftbesitzer ab. Umgerechnet rund 335 Euro zahlte sie monatlich für die Nutzung der Wasserfläche. Nachdem sie mit ihren beiden Söhnen und etlichen Haustieren das schwimmende Domizil bezogen hatte, lag die „Orion“ weiterhin in der Werft an der Maselakebucht – umgeben von Schiffen und ausgeschlachteten Wracks.

Sechs Jahre lang gab es keine Probleme. Philipp und Alexander, heute 14 und 19 Jahre alt, hatten zu Hause keine Zimmer, sondern Kabinen. Sie gingen auf Schulen in der Nähe und bekamen Besuch von Freunden, wie Kinder in konventionellen Wohnungen auch. Aber 2005 machte die Werft dicht, und der Immobilienkonzern IVG verkaufte das Gelände an die Wasserstadt GmbH, Träger des Entwicklungsgebiets Wasserstadt Oberhavel. Damit begann das Drama.

Aufgabe der landeseigenen Entwicklungsgesellschaft ist es, Industriebrachen in innerstädtischen Uferlagen aufzuwerten und an Investoren zu verkaufen. Auf dem ehemaligen Werftgelände plant die Wasserstadt den Bau von Stadtvillen und einen öffentlichen Park. Warum dafür hunderte, zum Teil sehr alte Bäume gefällt werden mussten, versteht Susanne von Gersdorff nicht. Auch nicht, warum die Schiffe von der Maselakebucht weichen müssen. „Wo wir lagen, wollten die gar nicht bauen. Aber wer Stadtvillen verkaufen will, den stört der Anblick von ein paar ollen Schiffen.“

Zum 31. Juni 2005 kündigte man den Schiffsbewohnern das Wege- und Leitungsrecht. Das heißt: Sie sollten weder das Ufergelände betreten noch Strom- und Telefonleitungen darüberführen dürfen. Demonstrativ zäunte die Entwicklungsgesellschaft das riesige Areal bis an die Wasserkante ein und drohte, die Leitungen zu kappen. „Das war wie im Kalten Krieg“, beschreibt von Gersdorff die Zeit, als Familienmitglieder und Besucher samt Einkäufen oder Fahrrädern immer einen bangen Moment über dem kalten Wasser schwebten, wenn sie sich um die Absperrung herumschlängeln mussten.

Verzweifelt suchte die Schiffseignerin nach einem neuen Liegeplatz. Doch dafür braucht man die Erlaubnis dreier Behörden: des Bezirkes, des Landes und des Bundes – denn dem gehören die meisten Wasserstraßen. Ein höchst komplizierter Prozess. Deshalb wurden Hausbootsiedlungen bislang immer erst im Nachhinein genehmigt – etwa die an der Tiergartenschleuse auf dem Landwehrkanal oder im Plötzenseer Kolk, einer Ausbuchtung des Hohenzollernkanals nahe der Stadtautobahn.

Die Bootsiedlung im Kolk hat Klaus-Dieter Ambord vor zwölf Jahren als Liegestelle entdeckt. „In Berlin waren damals Wohnungen knapp, und eine Eigentumswohnung konnte ich mir nicht leisten“, sagt der Architekt, der heute eine Anlaufstelle für ehemalige Drogenabhängige leitet. Ambord restaurierte 1994 ein schrottreifes Stahlschiff und machte hier fest. Um Erlaubnis hatte er nicht gefragt. Schon nach zwei Tagen entdeckte ihn die Schifffahrtspolizei. „Sie sagten mir, in Berlin herrschten Recht und Ordnung, und ich müsse den Kolk verlassen“, erinnert sich der 55-Jährige. „Ich sagte ihnen, sie sollten mir einen anderen Liegeplatz zeigen.“ Weil er das Ufer vom Müll befreite und auf seinem Schiff einen Fäkalientank installierte, erklärten ihm die Gesetzeshüter schließlich, wie man an eine Genehmigung kommt. „Am Anfang heißt es immer: Das geht nicht“, fasst der Gründer der Hausbootsiedlung seine Erfahrungen zusammen.

Natürlich könnte auch Susanne von Gersdorff zur Wasserbesetzerin werden und abwarten, was passiert. Aber sie möchte ihren beiden Söhnen eine stabile Wohnsituation bieten: „Sonst haben die keine Freunde mehr.“ Deshalb hat sie sich auf den Behördenmarathon eingelassen: „Ich renne von A nach B und wieder zurück.“

Unter dem Druck von Unterlassungs- und Räumungsklagen dehnte die Spandauerin ihre Suche über Wedding und Tegel bis Hennigsdorf aus. Bei Polizei und Feuerwehr erkundigte sie sich nach stillgelegten Häfen, Eigentümer von brachliegenden Ufergrundstücken bat sie um Hilfe. Zweimal sah von Gersdorff Licht am Horizont, weil zwei von drei Behörden bereits Einverständnis bekundeten.

Beide Male musste sie ihre Hoffnungen begraben: Sowohl an der Tegeler Promenade als auch am Weddinger Nordhafen erhoben die bezirklichen Natur- und Grünflächenämter Einspruch. Auch im brandenburgischen Hennigsdorf half man ihr nicht weiter. Die Besitzer von Brachflächen, denen sie anbot, im Gegenzug auf ihr Gelände aufzupassen, wollten sich nicht auf Experimente einlassen. „Lieber machen die gar nichts mit den Immobilien, als sich vielleicht Ärger mit einem Hausboot einzuhandeln“, sagt von Gersdorff im Nachhinein über die Verhandlungen.

Der Spandauer Baustadtrat Carsten Röding (CDU) und der Petitionsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung benannten ihr den Teufelsseekanal als Alternative. Dabei übersahen sie jedoch die Abrissarbeiten am Kraftwerk Oberhavel, die das Wohnen auf dem Wasser verhindern – mindestens bis Ende 2008.

Während die zweifache Mutter monatelang erfolglos einen Liegeplatz suchte, rückte der Gerichtstermin mit der Wasserstadt GmbH heran. Ende Januar 2006 mussten von Gersdorff und die anderen sieben Werftbewohner vor dem Richter erscheinen: Die Wasserstadt hatte sie auf Unterlassung verklagt – ihnen sollte der Zutritt zum Gelände verboten werden. Erst sah es für die Beklagten gar nicht so schlecht aus. Der Richter erkundigte sich bei der Entwicklungsgesellschaft, ob man wirklich das ganze Gelände sperren müsse, und ob man den Schiffsbewohnern nicht einen Pfad lassen könne.

Dann habe sie einen entscheidenden Fehler gemacht, sagt Susanne von Gersdorff heute: „Als mich der Richter fragte, ob man auch mit einem Beiboot zum Schiff gelangen könne, habe ich nicht lange nachgedacht und gesagt: Na klar!“ Sie habe in diesem Moment nur an den Platz gedacht, den sie unter allen Umständen halten wollte. Dass die Wasserfläche im Winter zufrieren kann, hatte sie genauso ausgeblendet wie die Tatsache, dass ihr 14-jähriger Sohn noch kein Motorboot führen darf. Er wäre somit immer auf fremde Hilfe angewiesen. Die Werftbewohner verloren die Klage, fortan hätten sie nur noch auf dem Wasserweg zu ihren Schiffen gelangen können.

Kurz darauf flatterte ihnen eine Räumungsklage ins Haus: Die Wasserstadt GmbH drohte, die „Orion“ und alle anderen Schiffe auf Kosten der Besitzer wegzuschleppen. Doch so weit kam es nicht: Im Spandauer Ölhafen, ebenfalls ein Entwicklungsgebiet der Wasserstadt GmbH, sollen die Bauarbeiten erst 2007 beginnen. Susanne von Gersdorff erhielt die Genehmigung, bis Ende 2006 dort festzumachen. Auch die anderen Werftbewohner sind gewichen: Ein Segler verlegte sein Schiff in einen anderen Yachthafen, ein anderer zog in eine Stadtwohnung.

Seit April nun liegt die „Orion“ an den Rohrwiesen Nummer 10. Der Wind pfeift über eine öde Brachfläche und zerrt an trockenen Grasbüscheln. Einladend wirkt die Gegend nicht, erst der Blick übers Wasser offenbart ihren Charme.

Rund 5.000 Euro bezahlte die Schiffsbesitzerin für den Umzug, etliche Stunden Erdeschippen inklusive: Für die Befestigung ihres Schiffs ließ sie einen Dalben – einen stabilen Pfahl – in den Grund am Ufer rammen und vor ihrem Landsteg einen Zaun als Schutz vor ungebetenen Besuchern anbringen. Außerdem buddelte die Familie einen 60 Meter langen Schacht für Strom- und Telefonleitungen. Was geschieht, wenn die von Gersdorffs in drei Monaten keinen neuen Platz gefunden haben, weiß niemand.