NEUES AUS DEM KRIEG (11): Giftgaswaffen
Einer der streitbarsten deutschen Erfinder zur Zeit des Ersten Weltkriegs war der Chemiker Fritz Haber: Seine Erfindungen, zivil wie militärisch, verlängerten den Krieg und das Sterben – und verhinderten gleichzeitig Hungersnöte. „Brot aus Luft“, lautete eine Parole damals. Was klang wie ein Wunder, umschreibt recht präzise, was Haber gelang: Er fand einen Weg, aus dem Stickstoff der Luft industriell Dünger herzustellen.
Mit Beginn des Kriegs war das ein unschätzbarer Vorteil, denn zuvor war Deutschland auf Importe von Düngerrohstoffen vor allem aus Chile angewiesen. Mit der sogenannten Ammoniaksynthese hatte Haber einen zweiten wichtigen Schritt gemacht: Die Massenproduktion von Salpeter war entdeckt – ohne Salpeter keine Munition für den Krieg. Im Jahr 1915 wurde Haber außerdem zum Erfinder des Chemiekrieges. Am 22. April gegen 18 Uhr drehten deutsche Truppen in der Nähe der belgischen Kleinstadt Ypern die Gashähne auf. Rund 150 Tonnen Chlor wehten über den sechs Kilometer langen Frontstreifen. Der erste Gasangriff der Geschichte sollte diesem Krieg seinen Stempel aufdrücken, bald ersetzte Senfgas das Chlor. Da zu diesem Zeitpunkt die Gasmaske noch nicht zur Standardausstattung der Soldaten gehörte, starben (die Zahlen schwanken) bis zu 5.000 belgische Soldaten im Chlornebel, 15.000 wurden verletzt.
Wenige Tage später, am 1. Mai, wurde Haber in Berlin für das Massensterben frenetisch gefeiert und zum Hauptmann befördert. Am Abend versuchte Habers Frau Clara, ebenfalls Chemikerin, ihren Mann ein letztes Mal vom Gaskrieg abzubringen – vergeblich. Am nächsten Morgen erschoss sich Clara mit Habers Dienstwaffe. Der selbst brach noch am selben Tag zu seinem nächsten Einsatz auf. Der Nationalist Fritz Haber war der Überzeugung, den Krieg durch seine Erfindungen menschlicher zu machen. Im Dritten Reich musste er wegen seiner jüdischen Wurzeln in die Schweiz fliehen.
FERDINAND OTTO
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