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Archiv-Artikel

Nicht auf den Kopf gefallen

HELME So schön bunt, so leicht und manche auch noch mit Stoff überzogen – der Griff zum Helm ist auch eine Bauchentscheidung. Über seinen Nutzen wird nach wie vor gestritten

Helmpflicht für Radler? Zur Senkung des Unfallrisikos hat laut ADFC die Verkehrsplanung Vorrang

VON HELMUT DACHALE

Mit einem Bergarbeiterhelm hat sich Bundesumweltministerin Barbara Hendricks bereits gezeigt. Mit einem Fahrradhelm noch nicht. Auch vom Kollegen Alexander Dobrindt, zuständig fürs Verkehrsgeschehen, steht ein derartiges Werbefoto noch aus. Vorgänger wie Peter Ramsauer und Peter Altmaier haben dagegen ihre Pflicht getan und sich das Ding öffentlich auf den Kopf gedrückt, wie immer das auch ausgesehen hat.

Ebenso wie die alte hat sich auch die neue Bundesregierung viel vorgenommen: die Erhöhung der bundesweiten Fahrradhelm-Tragequote. Im innerörtlichen Straßenverkehr soll sie derzeit zwischen 11 und 13 Prozent liegen, wobei der Anteil bei Kindern bis 10 Jahren mit gut 50 Prozent angegeben wird. Was bedeutet: Bei erwachsenen Alltagsradlern ist der Fahrradhelm so beliebt wie die FDP.

Die Hersteller waschen ihre Hände in Unschuld. Haben sie sich doch eine Menge einfallen lassen, um die Helmverweigerer zu bekehren. Sinnvolles wie auch Seltsames. Sie appellieren ans Sicherheitsdenken, verkaufen den Helm gleichzeitig als notwendiges Lifestyle-Accessoire. Knallbunte Hartplastikmodelle, keine 300 Gramm schwer, durchbrochen von Belüftungsöffnungen in großer Zahl, Kevlargurte, eingebautes LED-Licht – gibt es alles und noch viel mehr. Selbst die Befestigung für eine Dashcam ist bei manchen schon vorhanden. Unfall und Verbrechen, die es zu dokumentieren gilt, lauern schließlich überall.

Wer lieber an die schönen Seiten denkt: Undercover-Modelle. Kaschierter Kopfschutz. Bei Abus heißt so etwas „Metronaut“: Hartschale mit textilem Überzug, und das sieht auf den ersten Blick wirklich nicht aus wie Fahrradhelm. Eher wie ein etwas wuchtiges Basecap. Die Trikant GmbH, ein noch kleiner Produzent, hält es für angebracht, die Außengestaltung je nach Witterung, Lust und Laune zu variieren. Wechselmützen, das ist ihre Idee. So lässt sich über ein und dieselbe Versteifung sogar ein Savannenhut oder eine Pudelmütze stülpen, alles exklusiv von Trikant zu beziehen. Allerdings weist die Firma darauf hin: die von ihnen verbaute Hartschale „weicht bewusst von den Eigenschaften und Grenzwerten ab, die EN-Normen vorgeben“. Gemeint ist die europäische Fahrradhelm-Norm CE EN 1078, mit der sich nur Helme schmücken dürfen, die „die härtesten Prüfbedingungen“ erfüllen, so vollmundig der Hersteller Alpina-Sports. Jedenfalls lassen die Prüfer dabei den Helm unter anderen mit einer Geschwindigkeit von 16,5 Stundenkilometern auf eine Stahlkante krachen.

Also sind Behelmte tatsächlich mehr geschützt als Unbehelmte, zumindest dann, wenn ihr Helm die EN-Standardtests bestanden hat? Genau das hat das Oberlandesgericht Celle kürzlich in Zweifel gezogen: Es wäre bislang nicht hinreichend erwiesen, heißt es in einem Revisionsurteil, „dass Fahrradhelme in einer statistisch signifikanten Weise zur Abwendung von Kopfverletzungen beizutragen geeignet sind“. Und da es in Deutschland generell keine Radhelmpflicht gibt (nur für das erst bei 45 Stundenkilometern abgeregelte E-Bike), könne ihnen nicht allein wegen des Nichttragens Mitverschulden bei einem Unfall angerechnet werden (OLG Celle 14 U 113/13).

Über den Nutzen von Fahrradhelmen wird seit Jahrzehnten gestritten und geurteilt. Viele Befürworter, etwa Hersteller, sagen: So mancher Unfall wäre ohne Helm schlimmer verlaufen. Denn wer direkt auf den Kopf fällt, habe „oben mit“ bessere Chancen, glimpflich davonzukommen. Aber wie viele der verunglückten Radler sind denn nun gerade auf den Kopf gefallen und haben sich dabei Verletzungen zugezogen? So fragen gern die Gegner und antworten selbst: Glücklicherweise nur ganz, ganz wenige. Im Internet kursieren Zahlen zwischen 10 und 0,0002 Prozent. Soll heißen: Bein-, Arm- und Rippenbrüche oder auch Gesichtsverletzungen sind eindeutig häufiger.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) als quasi staatstragende Vereinigung gibt sich diplomatisch: „Selbstverständlich spricht nichts dagegen, wenn sich Radfahrer individuell mit einem Helm schützen.“ Doch zur generellen Senkung des Unfallrisikos für Radfahrer hätte eine radfahrerfreundliche Verkehrsplanung halt Vorrang. Wenn der ADFC etwas bekämpft, dann Pläne zur Einführung einer Helmpflicht. Mit Verweis auf helmpflichtige Länder wie Australien glaubt er, dass der gesetzliche Zwang nicht unbedingt zu mehr geschützten Köpfen, sondern zu erheblich weniger Radlern führen würde. Und dies wiederum sei „weder umwelt- noch gesundheitspolitisch zu verantworten“.

In der Bundesregierung denkt angeblich niemand über die Einführung einer bundesweiten Helmpflicht nach. Im Koalitionsvertrag jedenfalls taucht das Wort nicht auf, nur die Absicht, darauf hinzuwirken, „dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen“. Es wird also bei Appellen und der Unterstützung von Kampagnen bleiben. Auch mit radelnden Kabinettsmitgliedern dürfte wieder zu rechnen sein. Mit schickem Helm auf dem Kopf, versteht sich.