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Archiv-Artikel

„Ich wollte keine Helden“

Hartmut Schoen hat einen Fernsehfilm über den Mauerbau gedreht. Mit dem Anspruch, Fehler vergleichbarer Großproduktionen zu vermeiden. „Die Mauer – Berlin ’61“, Arte, 20.45 Uhr

Interview Eckart Lottmann

taz: Herr Schoen, Sie haben viele Jahre lang Dokumentarfilme gemacht. Als Sie zum Spielfilm wechselten, waren Ihre Stoffe fast immer in der Gegenwart angesiedelt. Wie kam es jetzt zu diesem Film, der 1961 spielt?

Hartmut Schoen: Der WDR hat mich gefragt, ob ich einen Film zum Thema „Bau der Mauer“ machen möchte. Ich hatte für den WDR-Redakteur Michael André 2004 den Film „Der Grenzer und das Mädchen“ gedreht, und der hat ihm und anderen offenbar gut gefallen. Ich habe dann recherchiert und auf dieser Grundlage eine Handlung entwickelt. Es geht immerhin um das bedeutendste Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte. Das fiktional aufzuarbeiten und dabei einige Fehler zu vermeiden, die andere „Großproduktionen“ zu ähnlichen historischen Themen machen, hat mich gereizt.

Sie meinen Filme wie „Die Luftbrücke“ oder „Die Sturmflut“. Was machen die denn für Fehler?

Die Macher haben solche historische Filme meist mit einer Liebesgeschichte „aufgeladen“, haben eine große atmosphärische Dichte geschaffen, aber von der Dramaturgie her waren diese Filme für mich nicht sehr überzeugend. Sie verloren sich in Nebenhandlungen und Nebenschauplätzen. Mir ging es mehr um die Menschen, die das Geschehen erleben. Ich wollte keine „Helden“, mit denen man sich identifizieren kann und die alle Hindernisse bewältigen.

Was halten Sie denn von Filmen wie „Sonnenallee“, „Good Bye, Lenin“ und „NVA“, die in der Zeit der DDR spielen?

Ich habe nichts mit diesen Filmen gemein, hoffe ich. Was mich nervt, ist das komödiantische Umgehen mit dem historischen Stoff. Das ist manchmal wie ein Schlag ins Gesicht von Menschen, die eigentlich mehr Respekt verdient haben.

Wie haben Sie selbst den Bau der Mauer erlebt?

Ich bin zwar in Süddeutschland aufgewachsen, aber mein Vater hat bis zum Krieg in Zeuthen gelebt, ganz nah bei Berlin, und wir hatten noch Verwandte dort. Am 13. 8. 1961 habe ich meinen Vater so gesehen, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Da war ich zehn Jahre alt. Ich hatte einen starken Vater, der immer alles dominierte. Aber in diesen Tagen habe ich ihn so verunsichert gesehen wie selten später. Die Hoffnungslosigkeit und die Angst vor dem Krieg, die er plötzlich hatte, das sind ganz präsente Bilder meiner Kindheit.

Kann jemand wie Sie, der in Westdeutschland groß geworden ist, einen Film um eine Ostberliner Familie und den Mauerbau machen?

Es braucht nicht viel, um sich in diese fürchterliche Situation hineinzudenken. Es gibt so viele politische Katastrophen, etwa den Terrorangriff auf das World Trade Center am 11. 9., wo wir sehr betroffen reagiert haben, da spielte die geografische Nähe oder Entfernung überhaupt keine Rolle. Wenn man noch Verwandte im Osten hatte, die man öfter besucht hat, dann war es egal, ob man nun Wessi war oder Ossi oder in Spandau gewohnt hat, die Mauer ist einfach unerträglich gewesen.

Die Kuhlkes in Ihrem Film müssen sich mit der Trennung von ihrem Sohn abfinden.

Jeder hat es zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt gemerkt, aber irgendwann wurde den meisten klar, dass man machtlos ist. Viele hatten ja zunächst gedacht – nach dem Wiederanfang in der durch den Krieg zerstörten Stadt, nach der glücklich realisierten Luftbrücke –, man komme mit allem zu Recht. Aber die Mauer blieb, und damit hatte eben niemand gerechnet, außer vielleicht den Politikern, aber der „normale“ Bürger mit seinem kindhaften Glauben an die Politik, der hat es wahrscheinlich nicht geglaubt.

Katharina, Paul und Hans Kuhlke sind sympathisch, auch die Klavierlehrerin, die Paul hilft. Die Geschichte schreit gewissermaßen nach einer Wiedervereinigung der durch die Mauer getrennten Familie. Warum gibt es sie hier nicht?

Des vielen Elends wegen, des Entsetzens, das diese Politik und dieses Bauwerk hervorgebracht hat. Ich hätte mich nicht wohlgefühlt mit einem Happy End. Unser Fernsehen ist sowieso überlastet mit Happy Ends und Alles- wird-gut-Gesäusel – ich finde, bei diesem Thema und diesem historischen Wissen, das wir über die weitere Entwicklung haben, konnte es nur so ausgehen, wie es jetzt ausgeht. Dramaturgisch arbeite ich genau mit diesem Verlangen der Zuschauer nach einem versöhnenden Ende, und der Schock ist am Ende groß, dass es nicht gelingt. Dieses Ende ist wie ein Spiegel für die Politik damals, die gesellschaftlichen Zustände.

Ist das nun eine rein historische Geschichte, oder bedeutet sie auch aktuell etwas?

Dass die Mauer quer durch Berlin, durch Deutschland möglich war, zeigt, wie brüchig das Leben ist. Man richtet sich irgendwie ein, meint, dass man weiß, wie alles so laufen wird, wie das Leben funktioniert. Aber diese Ruhe kann in jeder Minute verändert werden, das wissen, das fürchten wir. Plötzlich merkt man, dass man wie eine Marionette bewegt wird. Ich habe, wie alle, Angst vor Schlägen, denen man nicht ausweichen kann.