: „Es gibt zu viel Besitz in zu wenig Händen“
AUSSTELLUNG Die Künstlerin Birgit Brenner über ihre gewachsene Verbindung zur Galerie „Eigen +Art“, ihre Fähigkeit, Gefühle durch Geschichten zu transportieren, und das Sammeln von Müll als Zwangshandlung
■ „Hätte sie Geld, hätte sie Zähne. Hätte sie Zähne, hätte sie einen Job. Der Kreislauf nimmt kein Ende. Geld und Zähne hängen unglücklich zusammen …“ So gehen die berühmt-berüchtigten Birgit-Brenner-Geschichten. Die 1964 geborene Künstlerin setzt sich in ihren raumgreifenden Installationen mit gesellschaftlichen Forderungen und den daraus erwachsenden Ängsten auseinander. Ein ausgreifender schwarzer Pappverhau an der Wand, flankiert von zwei Kakerlaken, visualisiert die prekäre Existenz einer Frau mit Messie-Syndrom.
■ „Selbst Schuld“, Eigen + Art, Auguststr. 26, bis 19. April
INTERVIEW BRIGITTE WERNEBURG
taz: Frau Brenner, Sie sind jetzt 20 Jahre bei der Galerie Eigen + Art. Ist das eine alte Ehe?
Birgit Brenner: Ja, mit allen Vor- und Nachteilen. Ein Vorteil ist, dass wir uns mehr sagen. Ich wüsste nicht, ob es diese Offenheit und Direktheit zwischen uns gäbe, wenn ich bei Judy Lybke eingestiegen wäre, als er schon so erfolgreich war. Dass Judy diese Karriere hingelegt hat, ist natürlich toll für mich und die anderen Künstler der Galerie. Ich bin sogar schon mehr als 20 Jahre dabei, weil ich schon während des Studiums bei Eigen + Art war.
Wie sind Sie überhaupt zusammengekommen?
Damals an der HdK, jetzt UdK, macht man nach der Grundklasse eine Ausstellung. Da fand Nicole Hackert meine Arbeiten gut. Sie machte damals mit anderen den Artacker in der Ackerstraße, bevor sie mit Bruno Brunnet Contemporary Fine Arts aufmachte. Bei ihr hatte ich dann eine kleine Ausstellung, die Kathrin Becker sah, die heute das Videoprogramm bei nbk leitet. Sie fragte mich wegen der Ausstellung „37 Räume“ an, die Klaus Biesenbach in leer stehenden Räumen in der Auguststraße organisierte, zusammen mit 31 Kuratoren. Und im Zusammenhang damit hieß es, Judy Lybke findet meine Arbeit am besten. Ich bin dann mit meiner Mappe zu ihm gegangen und hab gesagt, hier, das bin ich, du fandst mich gut. Ich hatte Glück, denn wie er sich ausdrückte, suchte er für sein Galerieprogramm Westweiber. Dass es bis heute hält, hat wohl keiner von uns damals gedacht.
Ihre Kunst ist narrativ ausgerichtet. Sie basiert auf tragisch-traurigen und gleichzeitig komischen Geschichten und Problemlagen des Alltags. Wäre die Situation der Künstler in der Kunsthochschule und danach nicht ein Thema für Sie? Zumal es eine Chance für Selbstreflexivität böte, oder ist das zu heikel?
Nicht zu heikel. Das große Missverständnis bei meinen Arbeiten ist ja, dass viele denken, die Birgit, die hat einen psychischen Schaden. Ich hab mir schon überlegt, ob ich es jetzt endlich zugebe, dass ich schon zig Selbstmordversuche hinter mir habe, seit Jahren unter Medikamenteneinfluss stehe und Alkoholikerin bin etc. Ich kann aber Geschichten, die mir nahe sind, die ich real erlebt habe, nicht gut erzählen. Ich kann allerdings Gefühle, die ich dabei hatte, in andere Geschichten transportieren. Darüber hinaus bin ich ganz schlecht im autobiografischen Bereich, da ich Abstand zu den Storys brauche. Ich brauche fiktive Leben und nicht mein eigenes.
Obwohl ich ja dachte, die Messie-Frau hat was von einer Künstler- oder Künstlerinnenfigur? Künstler sind immer auch Sammler, mehr als andere Leute, finde ich.
Im Atelier ja, zu Hause nicht. Und meine Geschichten sollen viele Aspekte haben, auch Aspekte, die jeder kennt. Logischerweise sammeln Kunstsammler. Aber man fragt sich manchmal schon, wie viele Lager habt ihr eigentlich? Ist das nicht compulsive hoarding, was ihr da treibt? In der aktuellen Installation geht es um die Frage nach Besitz. Was ein Messi hortet, ist für uns Müll, aber für ihn ist das ein wertvoller Besitz. Im Begriff Privatbesitz stecken zwei Begriffe, die ich aktuell ganz wichtig finde. Das Private ist in Gefahr, und Besitz ist das Unheil der Welt. Es gibt zu viel Besitz in zu wenigen Händen.
Dafür, dass es in „Selbst Schuld“ um das Messie-Syndrom geht, sieht der Galerieraum ausgesprochen elegant und aufgeräumt aus. Kenne ich nicht viel wildere Installationen von Ihnen?
Ja, ich wollte in der Galerie keinen Müll zeigen. Denn es geht mir nicht um den Müll, sondern um die Funktion, die er für die Betroffenen hat, sie unterliegen ja einer Zwangshandlung. In der Regel haben sie einen hohen Eigenanspruch, den sie nicht erfüllen können, und scheitern schon vorher, gerade aufgrund dieses zu hohen Anspruchs. Ein Bild für unsere aktuelle Zeit. Für die Installation wollte ich eine schwarze Bühnenbildsituation haben, die viel Licht schluckt. Und wenn man in die Galerie reinkommt, wollte ich, dass man die unterschiedlichen Schichtungen der Arbeit sieht, die von der Seite gesehen eher unattraktiv sind. Von vorne sieht man dann die Fassade eines zerklüfteten Hauses, hinter dem sich die Situation abspielt. Menschen mit Messie-Syndrom suchen in der Regel keine Hilfe von sich aus. Und die Kakerlaken verraten sie dann oft, da sich Nachbarn über Ungeziefer beschweren.
Die Kakerlaken bringen dann Hilfe?
Ja, für sie ist das keine Hilfe. Für sie ist das ein Desaster. Sie schämen sich, dass das Ungeziefer sie verrät und ihre Situation aufdeckt. Deswegen habe ich die Kakerlaken auch fast gleich groß gemacht wie das eigentliche Bühnenbild. Die Nummern, die man sieht, das sind die Höhenmesser, die anzeigen, wie viel die Protagonistin gesammelt hat, und gleichzeitig dienen sie als eine Art Abstandshalter. Der einzige Blick in einen Innenraum ist ein Hochglanzdruck, der das wahre Bild einer realen Situation zeigt. Der hängt dort klein und ganz alleine. Wenn ich einen Müllberg bis zur Decke aufgehäuft hätte, wäre mir das zu illustrativ geworden.
Und was hat es mit den Blumen gegenüber der großen Schichtung auf sich?
Ich wollte, dass etwas ganz Belangloses das Szenario attackiert. Ich hab Stiefmütterchen genommen, nicht wegen ihrem Namen, sondern weil diese Blumen für mich ein Gesicht haben, weil sie schauen. Ich wollte offenlassen, ob es die Blicke der anderen sind oder nur die Balkonpflanzen von gegenüber, die (ihr) sagen „Selbst Schuld“. Deswegen sind die Pfeile, die als Attacke von gegenüber auf die Arbeit zeigen, und die Abstandhalter auf der anderen Seite in der gleichen Farbe und der gleichen Sprache gemacht. Weil nicht sicher ist, wer was sagt.
Ist Messietum für Sie auch reizvoll von der formalen Seite her? Weil es sich doch gut trifft, dass die Materialien, mit denen Sie gewöhnlich arbeiten, eher billige Materialien sind wie Pappe und Dachlatten?
Eigentlich schon, aber hier habe ich viel mit Holz gearbeitet. Denn unabhängig vom Thema hatte ich vor ein, zwei Jahren das Gefühl, dass ich mit meinen Arbeiten mehr in den Raum gehen will. Da arbeitet man unter der Bedingung der Schwerkraft. Also musste ich hinter den Schichten eine Konstruktion verstecken, die das alles trägt. Glücklicherweise habe ich jetzt Sperrholz entdeckt, das mir viele Möglichkeiten bietet, ohne dass die Technik wirklich auffällt.
Wie bei den Stiefmütterchen?
Die Stiefmütterchen sind aus Pappe. Die Unterkonstruktion ist Holz, sonst könnte ich nicht so weit in den Raum hineingehen, da ab einer gewissen Länge natürlich eine enorme Hebelwirkung entsteht. Zudem geht es mir um Überlagerung, um Schichten und um Überfrachtung. Unterschiedlichste Aspekte, die sich in verschiedenen Höhen abspielen. Es gibt dann einen Blickwinkel, an dem sich alles zusammenfügt und ein Ganzes ergibt.
Diese Vielschichtigkeit verweigert sich einer definitiven Wahrheit der Geschichte?
Ja, es ist mir wichtig, dass die Installation einen inszenierten und auch einen flüchtigen Aspekt hat. Ich mache Kunst nicht, damit sie mich überlebt, sondern weil ich einen Ausdruck für Leben haben möchte. Wie ich Leben empfinde, was passiert in der Zeit, in der man lebt. Und da finde ich es absurd, wenn man etwas festhalten möchte, weil man es eben nicht kann. Diese Flüchtigkeit und den Punkt, dass jeder sein Leben und sich selbst auch inszeniert, das alles will ich mit den Geschichten transportieren, und deswegen auch die vergängliche Materialform.