: Heikles Hundertstel
AUS BERLIN ANNA LEHMANN
Das Umstrittenste wird zum Schluss verhandelt. Die Mitglieder des Koalitionsausschusses um Kanzlerin Angela Merkel wollen heute vereinbaren, in welcher Höhe die Kassen künftig Zusatzbeiträge von ihren Versicherten erheben dürfen. Am Montag hatte die Runde aus Fachpolitikern beider Parteien bereits Einigung über die Reform der privaten Krankenversicherung und den Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen gemeldet. Wie die Kompromisse aussehen, darüber herrscht allerdings noch Stillschweigen.
Die Zusatzbeiträge werden mit dem Start des Gesundheitsfonds im Jahre 2008 relevant. Dann erhalten die rund 250 gesetzlichen Krankenkassen aus dem Fonds einen weitgehend einheitlichen Beitrag. Kassen, die damit nicht auskommen, dürfen von ihren Versicherten Zusatzbeiträge erheben – entweder prozentual nach Einkommen oder einheitliche „kleine Kopfpauschalen“.
Die SPD besteht auf einer „Überforderungsklausel“. Sie fordert, dass die Extrabeiträge auf ein Prozent des jeweiligen Haushaltseinkommens begrenzt werden. Die Union kritisiert den bürokratischen Aufwand, den es erfordert, die Einkommen zu prüfen. Sie möchte entweder gar keine Grenze oder eine deutlich über einem Prozent. Beide Seiten haben Experten um Rat gefragt, die CDU den Wirtschaftsweisen Bert Rürup, die SPD den ehemaligen Chef der Barmer Ersatzkasse, Eckart Fiedler. Ihre Stellungnahmen, die der taz vorliegen, dienen dem Koalitionsausschuss heute als Diskussionsgrundlage.
Fiedler plädiert dafür, die Zusatzbeiträge so gering wie möglich zu halten: „Wettbewerb darf nicht dazu führen, dass Kassen, die Versicherte mit niedrigeren Einkommen haben, dadurch Nachteile erleiden.“ Statt Jagd auf Gesunde und Gutverdienende zu machen, sollten sich die Kassen auf bestmögliche Versorgung konzentrieren.
Mit Rürup ist er sich darin einig, dass im Falle einer Überforderungsklausel Kassen mit einkommensschwachen Mitgliedern Einnahmeausfälle und damit Wettbewerbsnachteile hätten. Von einem AOK-Versicherten mit durchschnittlich 1.000 Euro Einkommen könnte die Kasse zehn Euro Zusatzprämie verlangen, während die Techniker Krankenkasse von ihren Mitgliedern das Doppelte fordern dürfte, da diese im Schnitt 2.000 Euro verdienen.
Beide Experten schlagen daher einen Ausgleich vor. Rürup, Vordenker der Kopfpauschale, hält die Ein-Prozent-Regelung zwar für verzichtbar. In seinem Gutachten zeigt er dennoch zwei Wege auf, wie sie umsetzbar wäre: Entweder zahlen alle Beitragszahler aus dem Fonds der Kasse die Differenz zum vollen Zusatzbeitrag. Oder die Kasse erhält „aus Steuermitteln finanzierte Zuschüsse in Höhe der Einnahmeausfälle, die ihr durch die Ein-Prozent-Überforderungsgrenze entstehen“.
Anders als Rürup möchte sich Fiedler nicht mit der individuellen Prüfung des Haushaltseinkommens aufhalten. Er plädiert für einen „Grundlohnfaktor“. Jede Kasse errechnet dazu das Durchschnittseinkommen ihrer Versicherten. Kassen mit einkommensschwächeren Mitgliedern erhalten Zuschüsse aus dem Gesundheitsfonds, und zwar bis zum durchschnittlichen Grundlohn aller gesetzlich Versicherten. Zusätzliche Steuergelder sind in diesem Modell nicht vorgesehen. Grundsätzlich plädiert Fiedler aber dafür, den Fonds stärker mit Steuergeldern zu bestücken: „Das würde Beitragszahler und Arbeitgeber entlasten.“
Nach Ansicht des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach gibt es für die CDU keinen Grund mehr, die Ein-Prozent-Regel zurückzuweisen: „Beide Gutachter zeigen, wie sie umgesetzt werden kann. Wenn die CDU trotzdem behauptet, dass die Regelung nicht praktikabel wäre, macht sie sich unglaubwürdig. Dann stellt sich die Frage, wozu man überhaupt Gutachter bemüht.“