HERMANN-JOSEF TENHAGEN HAUSHALTSGELD : Berliner sind die besseren Menschen
Der Hauptstädter an sich shoppt nicht, weshalb nun die Amerikaner Berlin für die Metropole des Postkonsums halten. Eingeweihte wissen jedoch: Der Hauptstädter an sich hat einfach kein Geld
Pam ist ganz begeistert. Sie hat in einer aktuellen Ausgabe des Condé Nast Traveller eine zehnseitige Geschichte über Berlin gefunden, in der behauptet wird, dass Berliner die Postkonsumenten schlecht hin seien. Sie würden bewusster einkaufen und weniger einkaufen – gerade das Gegenteil des Shoppingwahns, den Pam bei ihren Landsleuten auszumachen glaubt. Die Kombination von „Umweltbewusstsein und Kreativität“ präge jedes Viertel Berlins, liest sie vor, selbst im umweltbewussten San Francisco werde im Vergleich dazu doch nur geprasst.
Ich bin peinlich berührt, wie immer, wenn ich in eine zu lobende Gruppe so mir nichts dir nichts eingemeindet werde. Und beginne zu lesen, was denn der Autor Marc Barasch zu berichten weiß. Nach einer Viertelstunde melde ich Vollzug. „Tatsächlich Pam, der Mensch hat recht. Berliner sind die besseren Menschen. Jedenfalls besser als ihr Amerikaner.“
Nach dieser Einleitung können nur Einschränkungen folgen. Vielleicht habe die No-Shopping-Haltung auch damit zu tun, dass die meisten Berliner nicht wohlhabend sind und gar nicht auf den Gedanken kämen, in einem Gourmetladen für 6 Dollar einen Liter Organic Milk (Biomilch) zu erstehen, gebe ich zu bedenken.
Pam ist wohlhabend und frequentiert diese Feinkostläden, 15 Sorten Salz im Gewürzschrank, der eine Größe hat, die ich bis dahin nur amerikanischen Kühlschränken zugebilligt habe. Selbstverständlich einen noch größeren, richtigen Kühlschrank in der Wohnküche und einen weiteren gleich neben einem Tresor von einem Eisschrank im Keller.
Auch die Zahl der Großbildfernseher in dem Journalistenhaushalt untermauert Pams These. Ein Großbildfernseher und ein Kleiner in der Wohnküche, dazu eine große Glotze in Kevins Büro (Kevin ist Pams Gatte), einer bei ihrer Tochter, einer im Gästezimmer und selbstverständlich einer im Schlafzimmer. Das Riesengerät im Wohnzimmer hätte ich fast vergessen.
Ich möchte das Thema Menge aber nicht vertiefen, denn Pam und Kevin sind extrem liebenswürdige Gastgeber und Pam liebt es zudem, opulent und gut zu kochen – wir lassen da lieber nichts anbrennen.
Stattdessen halte ich mich in dem Gespräch weiter am Berliner Motto „Arm, aber sexy“ fest und beschreibe, dass das Pro-Kopf-Einkommen in Berlin nur halb so hoch sei wie in Hamburg und dass Berliner im innerdeutschen Vergleich zu den Ärmeren gehörten, die Arbeitslosenrate hoch sei. Vielleicht hat der Autor der Reisereportage die grüne Hauptstadt mit ihrer durch puren Mangel erzwungenen Kaufzurückhaltung zu einem neuen Lebensmodell verdichtet, das die Berliner selbst noch gar nicht als Modell erkannt haben.
Vielleicht.
Wenn’s so ist, dann wird die taz früher oder später zum Zentralorgan dieses Lebensmodells. Denn hier wird das Ökomodell der Kaufzurückhaltung schon seit über 30 Jahren praktiziert. Gute Aussichten, liebe Redaktion.
■ Der Autor ist Chefredakteur von „Finanztest“ Foto: Karsten Thielker