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Archiv-Artikel

Ein unverwüstlicher Lakoniker

Mit „Aki Kaurismäki“ haben Ralph Eue und Linda Söffker eine lesenswerte Textsammlung über den finnischen Regisseur herausgegeben

von DIETMAR KAMMERER

Minimalismus und Melancholie. Rockabillys und finnischer Tango. Die Kälte der Heimat und die Sehnsucht nach der Ferne. Das Kino Aki Kaurismäkis kommt von jeher mit einem Minimum an mitunter paradoxen Koordinaten aus. Seit mehr als 20 Jahren variiert der Regiesonderling seine Motive, lässt seine Heldinnen und Helden zum Filmabspann mal mit ein bisschen mehr, mal mit ein bisschen weniger Hoffnung in die Zukunft blicken, dreht Farbfilme, die märchenhaft, und Schwarzweißfilme, die wie die ungeschminkte Wirklichkeit aussehen, und verfasst Skripts, deren spärliche Dialoge auf dem Etikett einer Wodkaflasche Platz finden würden. Dem geschriebenen oder gesprochenen Wort misstraut Kaurismäki vielleicht deshalb, weil er selbst viele Jahre als Filmkritiker tätig war, neben zahllosen anderen Beschäftigungen, unter anderem als Kellner, Hafenarbeiter oder Tellerwäscher. Jobs, in denen nicht viel geredet werden musste und in denen er die Erfahrungen sammeln konnte, die er später den Figuren seiner Filme zumuten wird. Heute lautet sein Credo: „Bloß keine Kritiken mehr!“, was die Kommentatoren allerdings nicht daran hindert, jedem seiner Filme wie einer Offenbarung entgegenzufiebern.

Denn es gibt immer noch viel zu entdecken im Universum des unverwüstlichen Lakonikers, der mit ausgeprägtem Stilwillen die kühle Strenge eines Robert Bresson mit der Melodramatik Douglas Sirks verschwistert und das Ergebnis als Slapstickroutine vorführt. Zwar hat sein jüngster Film „Laitakaupungin valot“ („Lichter der Vorstadt“), erstmals im Mai in Cannes vorgestellt, hierzulande noch keinen Starttermin. Kaurismäki-Fans können sich über die Wartezeit aber hinwegtrösten mit einer beim Filmbuchverlag Fischer + Bertz erschienenen und von Ralph Eue und Linda Söffker herausgegeben Publikation, die in Interviews, Essays und Einzelrezensionen so ziemlich jede denkbare Perspektive zum Oeuvre des wortkargen Finnen einnimmt.

Mitunter bewegen sich die einzelnen Beiträge des Bandes am Rande des Erwartbaren. Die meisten der Texte scheinen sich die These Jean-Michel Frodons zu Herzen genommen zu haben, man könne die Filme von Kaurismäki erst dann richtig sehen, wenn man auch den Körper des Regisseurs – seine Präsenz, sein Gesicht, die Langsamkeit und Schnelligkeit seiner Gesten – einmal erlebt habe. Mit akademisch-distanzierter Analyse kommt man da nicht weit, eher schon mit einem Schreiben, das sich auf seinen Gegenstand einlässt wie auf einen alten und vertrauten Freund. So imitiert Michael Essers eröffnender Essay als „Establishing Shot“ die Bewegung eines Roadmovies. Man erfährt viel über Kaurismäkis Vorliebe für Cadillacs – Autos, die Namen tragen wie guter Wein („62er Eldorado Biarritz“) –, über Popsongs und über die Einsamkeit der Wölfe.

Der Herausgeber Ralph Eue hat aus den Selbstaussagen des Regisseurs ein Lexikon zusammengestellt, von A wie „Alkohol“ bis W wie „Western“. Unter K wie „Kamerabewegung“ rechtfertigt Kaurismäki seine Vorliebe für die unbewegte Einstellung in seiner typisch aphoristischen Manier: Er sei eben nicht mehr der Jüngste, genau wie seine Kamera selbst, ein Apparat, den er einst Ingmar Bergman abgekauft hat, als dieser das Filmemachen an den Nagel hängte. Von Kaurismäkis actress of choice, Kati Outinen, erfahren wir im Gespräch mit Christiane Peitz, dass es auf einem Kaurismäki-Set anstrengend und entspannt zugleich zugeht, eine Erfahrung, die auch die ehemaligen Leiter des Internationalen Forums des Jungen Films, Ulrich und Erika Gregor, in ihrem Beitrag beschreiben. Eine schöne Idee der Herausgeber war es, Harun Farocki ein „Extreme Close-up“ von „Ariel“ verfassen zu lassen – hier kann man zusehen, wie ein Filmemacher einem anderen beim Arbeiten über die Schulter schaut. Warum allerdings Jörg Becker die undankbare Aufgabe zugefallen ist, über denselben Film nur einige Seiten später einen weiteren Beitrag zu verfassen, der über eine Nacherzählung der gleichen Szenen nicht hinauskommt, muss unverständlich bleiben. Abgerundet wird der Sammelband mit Einzelanalysen sämtlicher Filme Kaurismäkis, inklusive der selbst in Fanzirkeln weitgehend unbekannten Musikvideos und Fernseharbeiten aus der Hand des Meisters.

Ralph Eue, Linda Söffker (Hg.): „Aki Kaurismäki“. Reihe film: 13, Bertz + Fischer Verlag Berlin, 2006, 224 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 19,90 Euro