: Eine andere Form von Reden
Uljana Wolf hat unter einem Baum angefangen, Lyrik zu schreiben. Mittlerweile ist ihr erstes Buch ausverkauft und die Autorin hat den Peter-Huchel-Preis bekommen. Ihre Gedichte öffnen Fenster und erzählen von Orten, die so fremd wie vertraut sind
VON ANDREAS RESCH
Nachdem sie ihr Fahrrad vor dem Café „Anna Blume“ an der Kollwitzstraße angeschlossen hat, bestellt Uljana Wolf erst einmal eine Apfelschorle: „Ich bin kurz vor dem Verdursten.“ Anschließend zündet sich die zierliche Autorin eine Zigarette an und erzählt, dass sie neulich bei einer Lesung mehrerer Dichter kurz vor Mitternacht auf die Bühne musste – das Publikum befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Halbschlaf.
Obwohl solche Veranstaltungen eigentlich der Alptraum eines jeden Schriftstellers sind, habe sich der Auftritt gelohnt. Hinterher sei sie nämlich mit den großen Lyrikern Gerhard Rühm und dem kurz darauf verstorbenen Oskar Pastior ins Gespräch gekommen – eine Erfahrung, die sie nicht missen möchte. Schließlich kommt sie auf unser eigentliches Thema zu sprechen: das Schreiben.
Ihr erstes Gedicht hat Uljana Wolf – fast zu schön, um wahr zu sein – als Teenager unter einem Baum geschrieben. Wobei, so sagt sie, man diesem Ereignis keine allzu große symbolische Bedeutung beimessen sollte: „Es ist kein Urerlebnis, das ich seitdem mit mir herumtrage.“ Danach hat sie weiter geschrieben, hat irgendwann begonnen, ihre Texte in Zeitschriften wie Das Gedicht oder Edit zu veröffentlichen. Letztes Jahr ihr Debüt mit „kochanie ich habe Brot gekauft“, dessen Erstauflage von 750 Exemplaren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft war. Dann, in diesem Jahr, der Peter-Huchel-Preis, der nach dem Interesse an den Gedichten auch Aufmerksamkeit auf die Autorin zog: „Lest halt meine Gedichte, viel mehr kann ich dazu auch nicht sagen“, hat sie damals gedacht und sich aufs Wesentliche konzentriert – das Schreiben von Gedichten.
In einem guten Gedicht sollte man sich nach Meinung der 1979 in Berlin-Mitte geborenen Autorin „nicht allzu gemütlich einrichten“ können. Die Dichotomie von Geschlossenheit und Offenheit spielt in ihrem Denken eine wichtige Rolle: Das Geschlossene sei das „stimmig Komponierte“, die darin verwendeten Worte die, „die so nur in diesem einen Gedicht zusammenfinden können“. Offen sei ein gutes Gedicht „dadurch, dass es ein Fenster aufmacht, durch das ein kalter Wind, der Hauch von einer Ahnung, weht“. Es bedürfe einer „unbekannten Größe“, eines „unbewohnbaren Moments“. Auch ihre eigenen Gedichte tragen dieses unbewohnbare Moment in sich, stehen in einem Spannungsverhältnis von Form und Inhalt, das oft durch den Kontrast von rhythmisiert-liedhafter Oberfläche und sperriger, mit einer Vielzahl von intertextuellen Bezügen angereicherter Sprache entsteht. Sei es Shakespeare, Wolfgang Koeppen oder Tom Stoppard.
Viele Gedichte setzen sich mit dem Unterwegs- und Fremdsein auseinander oder beschreiten gleichermaßen symbolische wie konkrete Räume, etwa die in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehenden „aufwachraum I & II“. „ach wär ich nur im aufwachraum geblieben / traumverloren tropfgebunden“ heißt es, aber: „ach wär ich nie im aufwachraum gewesen / taub gestrandet schwankend“. Variationen, vom selben Punkt ausgehend, sich in verschiedene Richtungen verzweigend.
Ein weiteres zentrales Thema ist das Schweigen. Dabei ist vor allem die Figur des Vaters diejenige, „die nicht kommuniziert“. In „der vater herr vater“ etwa heißt es: „zurück und gehalten / hat der vater herr vater / noch jedes wort / für einen verrat.“
Dann sagt Uljana Wolf einen schönen Satz, nämlich dass es ihr darum gehe, „Geschichte als nicht kommunizierte Ansammlung von Missverständnissen beschreibbar zu machen“. Während sie spricht, unterstreicht sie das Gesagte immer wieder durch kleine Gesten, verändert ihre Körperhaltung, streicht sich Haarsträhnen hinters Ohr oder zündet sich eine weitere Zigarette an. Verblüffenderweise gelingt es ihr, dabei niemals hektisch oder unruhig zu wirken.
Für Uljana Wolf ist Schreiben einfach „eine andere Form von Reden“. In ihrem Inneren, so sagt sie, „lagern sich Dinge ab, bilden sich kleine Cluster“, die während des Schreibprozesses weiterverarbeitet werden. Auch weil sie sich den Luxus gönnen möchte, nicht unbedingt schreiben zu müssen, wenn es eigentlich nichts zu sagen gibt, arbeitet sie in einem Antiquariat. „Ich möchte mich in meiner Beschränktheit einrichten wie in einer Freiheit: der Freiheit, nur das schreiben zu können, was für mich notwendig ist, und nicht für meine Miete“, sagt sie. Angst vor Schreibblockaden hat sie keine, denn sie hat für sich akzeptiert, „dass das Schweigen zum Schreiben dazugehört“.
Uljana Wolf erzählt noch von einer italienischen Musikerin, die einige ihrer Gedichte vertont hat, von ihrer Liebe zu Polen, einem Land, in dem sie für eine Weile gelebt hat und dem sie sich – auch in ihren Gedichten – sehr verbunden fühlt. Dann muss sie los, will sie nicht zu spät zur Arbeit kommen. Das unterscheidet Buchhandlungen von Gedichten: Im Gegensatz zu Letzteren können Erstere nicht gleichzeitig offen und geschlossen sein.
Uljana Wolf: „kochanie ich habe brot gekauft. Gedichte“. kookbooks 2005, 72 Seiten, 13,80 €