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Archiv-Artikel

„Ich brach die Hierarchien auf“

CHEFSACHE Die Finnin Elisabeth Rehn war die erste Verteidigungsministerin der Welt – und ist mächtig stolz darauf. Ein Gespräch über die Bedeutung von Kasernenklotüren, den größten Waffenkauf der finischen Geschichte und Ursula von der Leyen

Elisabeth Rehn

■ Jahrgang 1935, gehört zu den 6 Prozent Finnen, deren Muttersprache Schwedisch ist. Die anerkannte Minderheit ist mit ihrer liberalen Schwedischen Volkspartei traditionell Teil der Regierung, für die die diplomierte VWLerin 1979 ins Parlament einzog.

■ 1990–95 hatte sie das Amt der Verteidigungsministerin inne – als erste Frau weltweit. (Indira Gandhi hatte 1975 die indische Armee unter sich, jedoch als Premierministerin.)

■ Später war Rehn unter anderem UN-Menschenrechtsbeauftragte und Vize-UN-Generalsekretärin, engagiert sich gegen Gewalt an Frauen in Konfliktstaaten wie Kongo und Liberia. 2014 gründete sie den Thinktank „Bank of Ideas“.

INTERVIEW ANNE HAEMING

taz: Frau Rehn, Sie schrieben Geschichte, als sie 1990 die erste Verteidigungsministerin der Welt wurden. Wie reagierte die finnische Armee auf Sie?

Elisabeth Rehn: Vor allem für die Veteranen und die Generäle war es ein echter Schock. Sie sagten: Haben wir nicht genügend Männer, dass wir den Job ihr überlassen müssen? Und: Okay, die neun Monate bis zur nächsten Wahl halten wir sie aus. Ein berühmter Kriegsveteran meinte: „Geben wir dem Mädchen eine Chance.“

Sie waren Mitte 50 – und er nannte Sie ein „Mädchen“?

Ach, ich fand das sehr nett von ihm. Er war 84 Jahre alt und hatte jedes Recht der Welt, mich „Mädchen“ zu nennen. Aber wütender als die Veteranen waren die Feministinnen: Ihrer Meinung nach war eine Frau direkt in eine von Männern aufgestellte Falle getappt.

Was für eine Falle?

Sie glaubten, ich würde nun alle Frauen in Finnland militarisieren. Und ihrer Meinung nach sollten sich Frauen von der Armee fernhalten.

Das erste Thema, das Ursula von der Leyen anschnitt, als sie im Herbst als erste Frau das deutsche Verteidigungsministerium übernahm, war die Work-Life-Balance der Soldaten. Da hagelte es Kritik. Was war Ihre erste Amtshandlung?

Ich finde, sie hat recht. Zu einer guten Firma gehört meiner Meinung, dass man sich um seine Angestellten kümmert. Ich nahm mich damals als Erstes der Toiletten in den Kasernen an.

Wieso denn das?

Sie hatten keine Türen. Dabei sind sie der einzige Ort, an dem die jungen Männer mal alleine sind und in Ruhe masturbieren können. Also ordnete ich an, dass alle Klos Türen bekommen.

Und wie waren die Reaktionen darauf?

Natürlich wurde ich dafür ausgelacht. Aber nur kurz. Denn alle haben gemerkt, was allein das bewirkte. Erst neulich hat mich ein junger Kassierer in einem Laden angesprochen: „Stimmt es, dass Sie für die Klotüren gesorgt haben? Danke, das war eine gute Idee.“ Ich bin noch immer überzeugt: Auch solche Kleinigkeiten zählen.

Sehr fürsorglich. Dabei gilt Verteidigungpolitik vor allem als hartes Ressort.

Moment! Ich habe in meiner fünfjährigen Amtszeit mit den 62 FA-18-Hornissen auch den größten Waffenkauf in der finnischen Geschichte getätigt! Aber mir war wichtig, mich um die Soldaten und meine Angestellten im Ministerium zu kümmern, ich ging streng gegen Mobbing vor, als noch keiner davon sprach. Mir ging es um eine gute Arbeitsatmosphäre. Wenn Minister Kasernen besuchen, läuft das so ab: Man sitzt in der Kantine am Tisch mit den ganzen Offizieren, vor einem die Flagge, dann geht man wieder. Aber ich bin nach den Reden und dem Essen immer herumgelaufen, habe mich an die Tische gesetzt und mit den Jungs gequatscht.

Worüber haben Sie mit den Soldaten geredet?

Ich wollte wissen, wie es ihnen geht, wie es privat läuft, wie gut die Zusammenarbeit im Militärdienst funktioniert. Weil ich so offen auf sie zuging, habe ich viele Briefe von Soldaten bekommen. Einige homosexuelle junge Männer haben mich damals um Hilfe gebeten, sie standen sehr unter Druck, waren oft psychisch am Ende. So konnte ich immer direkt eingreifen, sie im Notfall ins Krankenhaus verlegen lassen.

Das klingt ein bisschen nach dem Klischee der Mutterfigur.

Mütterlich würde ich das nicht nennen. Ich verteidigte die Menschenrechte. Nicht nur für die Soldaten, für alle meine Angestellten. Vor allem ging es mir um Gleichstellung – denn ich war parallel auch Ministerin für Gender Equality. Frauen waren damals stets in der schlechteren Position, haben weniger verdient, und wenn wir aus Kostengründen Personal reduzieren mussten, traf es zuerst die Zivilisten, also vor allem Frauen. Ich sah meine Aufgabe darin, diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

Wurden Sie für diesen Politikstil kritisiert?

Im Gegenteil. Dank mir haben sich Gesellschaft und Armee wieder angenähert. Die Armee hörte unter mir auf, nur der Sandkasten für die Männer zu sein, in dem sie ein bisschen spielen konnten. Auch weil ich die Hierarchien aufbrach. Nach Veranstaltungen setzte ich mich mit Dolmetschern, Sekretärinnen und Küchenpersonal hin und redete. Deswegen war mir auch wichtig, nie wie Margaret Thatcher auf einem Panzer fotografiert zu werden. Als Minister sind Sie schließlich Zivilist und nicht Teil des Militärs.

Es heißt, in Finnland macht man auch in der Sauna Politik – aber Männer und Frauen saunieren getrennt. Wie haben Sie das Problem gelöst?

Das war damals auch die erste Frage der Journalisten: Wie wollen Sie denn mit den Generälen zusammenarbeiten, wenn Sie nicht mal zusammen in die Sauna können? Ich habe gesagt: Wenn es wirklich nötig ist, gehe ich natürlich mit. Aber erstens glaube ich nicht, dass sie wollen, dass ich sie ohne ihre Uniform und all ihre Orden sehe. Und zweitens treffe ich meine Entscheidungen gewöhnlich vollständig bekleidet. Sogar in Australien wurde das zitiert. Da hat die Armee kapiert, dass sie PR kriegt, von der sie nie zu träumen gewagt hätte.

Sie sagten, die Frauenbewegung kritisierte Ihre Berufung. Hier reagierte sie positiv, als von der Leyen sich statt des soften Gesundheitsministeriums jenes männlich dominierte Politikfeld schnappte. Wie erklären Sie sich das?

Zum einen waren unsere Ultrafeministinnen damals gegen die Armee als Ganzes. Außerdem: Der Verteidigungsministerposten war damals, als es die Sowjetunion noch gab, nicht sehr wichtig. Über außenpolitische Themen redeten der Präsident und der Außenminister, sonst keiner. Wer immer Verteidigungsminister in Finnland war, hatte sich rauszuhalten.

Das Kalkül war also, eine Frau würde nicht aufmucken?

Sie sagten sich: Wenn wir als erste weltweit eine Frau auf diesen Posten setzen, passt das zu unserem liberalen Parteiimage, das bringt uns Aufmerksamkeit. Außerdem kann sie nicht viel falsch machen, es passiert ja gerade nichts in der Welt. Na ja: Im Juni 1990 wurde ich ernannt, im August marschierte der Irak in Kuwait ein. Wir waren damals Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Also war ich im Nu in einer sehr wichtigen Position. Und konnte mein Wissen und meine Führungsstärke unter Beweis stellen.

Sie haben mit Ihrem neuen Thinktank gerade eine Syrien-Konferenz organisiert, auf der viele Frauen waren. Nicht wirklich Usus, oder?

Normalerweise kommen da sogenannte Experten aus Diplomatie und Militär, aber wir haben gezielt Studenten, Botschafter und CEOs eingeladen. Es waren rund 170 Leute da. Und dass die Hälfte Frauen waren, darauf bin ich besonders stolz. Das liegt auch daran, dass sie mich kennen: Ich bin ein Vorbild geworden. Auch weil ich Fraktionschefin, Präsidentschaftskandidatin und Vizegeneralsekretärin der UN war. Man kennt mich, seit ich 1979 erstmals fürs Parlament kandidierte. Ich bin mir immer treu geblieben.

Wie meinen Sie das?Ich entschied mich 1979, meine Kampagne über Verteidigung, Sicherheitspolitik und Wirtschaft zu führen – und nicht über die soften Themen. Als Mutter von vier Kindern wollte ich nicht in die Familienecke gesteckt werden.

Haben es Frauen in der Politik schwerer?

Wie in jedem Bereich wird auch hier auf sie herabgeschaut, immer noch. Am Anfang meiner Amtszeit beobachteten mich alle und fragten sich: Wann macht sie ihren ersten absolut fürchterlichen Fehler? Er wird garantiert kommen! Zum Glück kam er nie.

Ihre Zeit als Verteidigungsministerin hat Sie mächtig gemacht: Sie kandidierten danach bei den Präsidentschaftswahlen und verloren sehr knapp gegen Martti Ahtisaari.

Nein, das war keine Macht. Meine Partei hat mich nicht nominiert – sondern die Bevölkerung. Weil ich so beliebt war. Und das, obwohl ich als Frau und Schwedin einer doppelten Minderheit angehörte. Aber weil so viele Stimmen zusammenkamen, musste sich meine Partei am Ende anschließen. Doch der Job hat mir später in anderen Situationen sehr geholfen.

Welche Tipps würden Sie Ursula von der Leyen geben?Sie darf nie vergessen, dass sie immer nur die politische Chefin des Verteidigungsministeriums ist – aber nicht die Chefin der Armee. Und sie muss sie selbst bleiben. Sie soll sich so verhalten wie auf ihren anderen Ministerposten. Das war für mich nie ein Problem, weil ich wusste, was ich kann. Wieso sollten Frauen nicht so viel Selbstachtung haben wie Männer? Frauen entschuldigen sich immer gern für sich selbst. Das sollten sie nie tun!