: „Ich habe ganz gern meine Ruhe“
PROVOKATION Es läuft richtig gut für Rainald Grebe. Der Sänger entertaint die Massen mit Liedern über Brandenburg und Dörte. Nachts zählt er dann sein Geld. Ein sonntaz-Gespräch über Ruhm und Anspruch, Landleben und Liebeslieder, Selbstekel und Penispuppen
■ Der Westen: Rainald Grebe wurde 1971 in Köln als Sohn eines Professors für Buchkunde und einer Englischlehrerin geboren, er wuchs in Frechen auf. Nach Abi und Zivildienst in einer Heilanstalt, wo er Genie und Wahnsinn erlebte, ging er als Musiker nach Berlin.
■ Der Osten: Von 1993 bis 1997 studierte er Puppenspiel an der Ernst-Busch-Schauspielschule, bevor er 2000 als Dramaturg, Schauspieler und Regisseur nach Jena ging.
■ Die Welt: Mit Thomas Hermanns produzierte er 2002 die Varietéshow „Immer wieder sonntags“. Nach seinem Solodebüt „Das Abschiedskonzert“ 2004 hat er mit der Kapelle der Versöhnung vier Programme entwickelt. Mit dem Orchester der Versöhnung gastiert er noch bis 14. November im Berliner Admiralspalast. Im Februar geht er auf Tour. Termine: www.rainaldgrebe.de
INTERVIEW DAVID DENK
taz: Herr Grebe, was macht Ihre Suche nach einem Haus auf dem Land?
Rainald Grebe: Die liegt auf Eis.
Warum? Sie wollten doch bis zu Ihrem 40. Geburtstag nächstes Jahr der Stadt den Rücken gekehrt haben.
Stimmt schon, aber das werde ich nicht schaffen. Zum einen ist meine Freundin gerade erst aus Nürnberg nach Berlin gezogen, was schon ein großer Schritt für sie war. Und außerdem ist das Modell noch nicht ganz klar …
… ob Sie da zu zweit wohnen wollen oder in einer Gruppe?
Ja genau, es hängt dazwischen. Und je größer die Gruppe ist, desto komplizierter wird es, weil jeder unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse hat. Darüber zu reden ist noch mal was anderes, als es zu tun. Letztes Jahr habe ich mir, glaube ich, vierzig Höfe angeschaut, musste aber einsehen, dass es noch nicht passt. Deswegen haben meine Freundin und ich uns erst mal eine Wohnung in Berlin gesucht.
Woher kommt die Sehnsucht nach dem Landsitz, der Sie sogar schon ein ganzes Programm gewidmet haben?
Ich fahre jetzt seit zehn Jahren immer wieder zu Freunden nach Brandenburg und fühle mich da sehr wohl – sicher auch, weil es das Kontrastprogramm ist zu meinem Leben in der Stadt, im Kulturzirkus und auf der Autobahn. Was man da für irre Typen trifft – Esoteriker, Drogenzelebrierer, Alternative jeder Couleur! Was da alles diskutiert wird! Diesen teilweise obskuren Input habe ich schätzen gelernt. Aber mir ist schon klar, dass dort Urlaub zu machen oder Lieder zu schreiben was anderes ist, als da zu leben. Außerdem wüsste ich gar nicht, wer den Hof in Schuss halten sollte. Ich jedenfalls bin da ungeeignet.
Sie wären ja auch nie da.
Das stimmt nicht ganz, ich wäre zwar manchmal auf Tour, dann aber länger am Stück zu Hause. Aber auf jeden Fall müsste jemand dauerhaft da wohnen, der auch Bock hat, die Arbeit auf dem Hof zu machen.
Sie entsprechen also voll dem Klischee des Städters, der sich nach Ursprünglichkeit sehnt, nach der eigenen Scholle.
Ja, den Schuh muss ich mir wohl anziehen. Aber Leute wie ich sind nur eine Gruppe von vielen. Ich habe auch viele getroffen, die in der Stadt gescheitert oder nie klargekommen sind und für die das Landleben eine Art Rehamaßnahme ist. Für mich wäre es in erster Linie ein Rückzugsort. Wenn ich wie gerade ständig Interviews gebe, um mein neues Programm zu bewerben, ekelt es mich manchmal so vor mir selber, dass ich einfach wegwill, nichts wie weg. Privat sein. Ich würde da keine Kunst veranstalten wollen.
Sie haben es mal als Ihre größte Leistung bezeichnet, Kunst aus Ihren Defekten zu machen. Wann war Ihnen das klar?
Arbeitet nicht jeder Künstler damit oder zumindest jeder gute?
Ja, aber viele bauen „Abstandhalter“ ein, erschaffen Kunstfiguren wie Kurt Krömer.
Stimmt, ich trage meine Privatperson zu Markte, veröffentliche auf der Bühne meine Widersprüche, inszeniere meine Biografie. Deswegen ist das Bedürfnis, die Tür zuzumachen, weg von allem zu sein, auch immer wieder so groß bei mir.
Sie halten sich auch für ungeeignet zum Fankontakt.
Stimmt, ich gehe nach der Vorstellung nicht an den CD-Tisch und lasse mich feiern. Das wird mir einfach zu viel. Ich provoziere es nämlich, dass Leute sich verstanden fühlen, und damit kann ich schlecht umgehen. Ich bin mir des Widerspruchs bewusst, dass ich einerseits vor möglichst vielen Leuten spielen möchte, abseits der Bühne aber möglichst wenig Kontakt zu denen haben will. Ich möchte, dass es voll wird und geil, aber wenn meine Arbeit gemacht ist, meine Seele ausgestülpt, dann will ich nichts anderes als in Ruhe mit Freunden in der Kantine Bier trinken, wie früher am Theater.
Ursprünglich haben Sie mal Puppenspiel studiert. Das wäre ein möglicher „Abstandhalter“ gewesen, oder?
Da ist man nicht zu sehen, ja. Nach dem Studium bin ich am Theaterhaus Jena sowohl als Puppenspieler aufgetreten als auch als Schauspieler und Sänger. Das Puppenspiel hat sich irgendwann einfach verdünnisiert.
Wie kommt man denn auf die Idee, Puppenspiel zu studieren?
Zufall. Ich wollte irgendwas mit Kunst machen. Bloß was? Schauspieler? Zu muffelig. Regie? Zu wenig Ahnung vom Theater. Schreiben war eine Option. Aber nur schreiben? Da habe ich diesen Zettel in die Hand bekommen, der mich irgendwie angemacht hat – diese Mischung aus Selbermachen, Straßentheater, Kleinkunst im besten Sinne. Ich war dann zwischenzeitlich fest überzeugt, dass es das Größte ist auf der ganzen Welt, eine Mischform aus Menschen- und Puppentheater zu machen. Was ich in abgeschwächter Form auch heute noch in meinen Programmen mache. Was mich an den Puppen so interessiert hat, war der andere Blick auf die Welt. Schauspieler haben nur sich selbst und ihre Emotionen. Im Puppentheater kann eine Kaffeetasse Faust sein. Diese Zweckentfremdung fand ich immer viel spannender, als naturalistische Puppen zu bauen.
Hatten Sie eine spezielle Puppe, „Ihre“ Puppe sozusagen?
Ich habe mal einen Penis gespielt. Der hat immer Krawatten gekauft in Paris. Das war so ein ganz schnieker Typ. Die Puppe war schrecklich verunglückt, weil ich nicht bauen kann.
Aber man hat sie als Penis erkannt?
Ja, das schon, gerade so eben.
Bekannt geworden sind Sie aber damit, das Land Brandenburg in wenigen Sätzen in einem Lied zu porträtieren. „Meister der Verknappung“, „großer Miniaturist“ nennen Kritiker Sie. Wie machen Sie das?
Oft beginnt es mit einem Satz, meistens dem Refrain, der dann so fortgefaselt wird. Zum Beispiel schreibe ich gerade einen Song über den Satz „Du bist doch 20. Jahrhundert“, den ich seit Monaten im Ohr habe. Wenn es gut läuft, scheißt du den Text in einer Stunde raus. Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig man braucht für ein Lied. Manchmal sprengt das dann aber auch schnell den Rahmen eines Songs: An der Geschichte der Grünen-Partei in Deutschland zum Beispiel bin ich gescheitert.
Gibt es Zeilen, auf die Sie besonders stolz sind?
In jedem Lied mindestens eine, sonst würde ich die auch nicht rausbringen. Soll ich eine sagen?
Ja bitte.
(überlegt länger) Der Präsident, der sagt: „Ich fliege mit meinem Heli über unser friedliches Land, und ich schaue immer runter, und ich denke: Gutes Getreide.“
Das ist wohl das, was Kritiker etwas unbeholfen als Ihre dadaistische Seite bezeichnen.
Damit kann ich nicht viel anfangen, aber ich weiß schon, warum dieses Etikett immer wieder auftaucht – weil in meinen Liedern die Textzeilen oft scheinbar nicht aneinander anschließen. Diese Erwartungshaltung wird im Kabarett normalerweise erfüllt, da wird die Pointe angebahnt und schön nach Hause gebracht. Dann wird eine Pause gemacht, und jeder weiß, worum es geht. Das ist dann das Gegenteil von Dada – und stinklangweilig. Bei mir entstehen Pointen unmittelbarer, abrupter, nicht hingeleitet. Es ist Schnitttechnik.
Man hat das Gefühl, etwas passt überhaupt nicht zusammen, aber im Ganzen …
… fügt sich das ein, genau. So mache ich das den ganzen Abend. Ich habe einen Fahrplan, drei, vier Themenkomplexe, die immer wieder aufgenommen werden, sich aufeinander beziehen. Linearität langweilt mich furchtbar, so Theatergeschichten: Der kommt, trifft den und den, und dann verliert er einen Handschuh oder so. Mir ist aber wichtig, dass die einzelnen Sinnabschnitte für sich stehen können, allgemeinverständlich sind. Mehr Spaß macht es natürlich, wenn man die Zusammenhänge erkennt.
Dann erschließt sich erst das ganze Ausmaß der Boshaftigkeit Ihrer Texte, das Ätzende.
So böse finde ich mich gar nicht, ich bin eigentlich sogar eher ein Lieber. Ich will, dass die Leute Spaß haben. Mein Ziel ist ein gemeinsames Fest. Ich bin niemand, der möchte, dass Leute rausgehen.
Aber so ein Lied wie „Dörte“ ist doch eine Hinrichtung eines bestimmten Frauen…
…schlages. Unter den Puppenspielerinnen gab es einige von der Sorte, unter denen ich zu leiden hatte und die ich dann zu Dörte gemorpht habe. Wenn Verachtung oder sogar Hass ins Spiel kommt, entsteht so ein Lied. Aber ich suche nicht ständig danach. Man könnte ja auch durch die Welt laufen und jeden musikalisch abschlachten, der einem krumm kommt.
„Du bist der Ausweg aus der Spaßgesellschaft“, singen Sie. Und: „Dörte hat jetzt zugegeben, sie onaniert auf Andreas Baader. Das ist der Rubbelmann für das Mittelmaßgeschwader.“ Haben Sie es sich schon mit jemandem so richtig verdorben?
Mich hat mal eine potenzielle Dörte darauf angesprochen – aber eher scherzhaft. So ein vorsorgliches „Ich komm jetzt aber nicht in deinem Lied vor“ höre ich oft. Aber richtig verdorben? Ich glaube nicht. Was ich mich manchmal frage, ist: Wo ist die Liebe in deinen Liedern? Warum schreibst du nicht mal ein schönes Liebeslied, sondern immer erst, wenn die Liebe vorbei ist?
Und?
Weil mir dazu nur Belanglosigkeiten und Kitsch einfallen: „Ich bin verliebt, wulli-wulli.“ Das böse Erwachen hinterher – da lauert mehr Stoff.
Mit politischen Statements haben Sie es nicht so. Ihr einziger Song mit dezidiert politischer Haltung widmet sich dem ZDF-Haushistoriker Guido Knopp.
Was heißt hier „politische Haltung“? Es ist ja fast schon Propaganda, einen Namen zu nennen und zu sagen: „Den mag ich nicht, aus den und den Gründen.“ Mich langweilt diese Eindeutigkeit eher. Nehmen wir den Satz: „Ich bin gegen Stuttgart 21.“ Das kann ich sagen, aber singen sollte ich es besser nicht. Rio Reiser konnte das noch, Lieder singen, Häuser besetzen, alles in einem Atemzug.
Fällt Ihnen irgend ein guter politischer Song aus den letzten Jahren ein?
„Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit“ von – wie heißen die – Silbermond? Oder war es Juli?
Silbermond, „Irgendwas bleibt“ heißt der Song eigentlich.
Sehr politisch – aber furchtbar. Wie die Plakate für diese Versicherung, die im Moment überall hängen: „Ich will versichert werden, nicht verunsichert.“ Aber ein guter Protestsong? Nee, fällt mir gerade keiner ein. Dass man mir, der ja nur ein paar Liedchen schreibt und ein bisschen Theater macht, überhaupt politische Fragen stellt, überfordert mich manchmal. Das fragt doch DJ Bobo auch niemand! Ich bin kein Fachmann, dafür beschäftige ich mich viel zu wenig damit. Ich hab auch ganz gern meine Ruhe.
Ganz schön spießig!
Ja, das ist das spießbürgerliche Erbe in mir, die Kleinstadt, die Lauheit, dass man Streit vermeidet, sich raushält, CDU wählt, weil das C für „christlich“ steht, so eine Grundpuscheligkeit.
In welchen Situationen macht sich das besonders bemerkbar?
Bei jeder Begegnung, jedem Lied stellt sich die Frage: „Wie lasch bist du, wie lasch ist das, was du machst?“ Das war jetzt ein bisschen allgemein, oder?
Ja.
Also ich bemerke bei mir eine gewisse Tendenz, mich in dem häuslich einzurichten, was ich kenne, wo ich weiß, wie es funktioniert. Wovor habe ich Schiss? Über diese Fragen gehe ich meistens schnell hinweg, versuche das irgendwie zu kaschieren.
Wovor haben Sie denn Angst?
Vor der Sache mit dem Ruhm. Ich werde gerade übers Internet mit Beschwerden bombardiert, dass die Kartenpreise zu hoch sind und ich früher besser war.
Die Kommerzkeule.
Ja, jetzt bin ich offenbar nicht mehr Underground …
… obwohl Sie immer noch ziemlich undergroundige Kopfbedeckungen tragen.
Das liegt nur daran, dass ich mich um Kleidung nicht schere. Das hat sich noch nicht geändert, wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern, aber ansonsten verschiebt sich gerade ganz schön viel.
Ist das mit den Klamotten nicht auch Ausdruck der Emanzipation von diesem spießbürgerlichen „Aber zieh dir was Ordentliches an, Junge“?
Das ist keine Leistung, das ist Wurschtigkeit. Unter Emanzipationsgesichtspunkten wäre es längst Zeit für die Gegenbewegung: Warum strenge ich mich nicht an und mache mich mal hübsch? Wäre mal was Neues. Davor, schick zu sein, habe ich aber anscheinend auch Angst.
Wie viele Krawatten haben Sie?
Keine.
Kommen wir auf die Sache mit dem Ruhm zurück. Was genau ist denn Ihr Problem damit?
Ich war mal unbekannt und arm und habe mich in siffigen Gebäuden rumgetrieben, weil ich mir die anderen auch gar nicht hätte leisten können. Und es war schon auch mein Antrieb, die da oben zu kritisieren, die im Fernsehen sind oder an der Macht. Und jetzt bin ich selber im Fernsehen. Welche Auswirkungen hat das auf meine Schärfe? Nimmt man mir das Aufmüpfige überhaupt noch ab? Plötzlich treffe ich Jürgen Trittin, und wir unterhalten uns – unter Prominenten. Was verändert das? Aus der Ferne lässt sich viel leichter schießen.
Zu Ihrer Ehrenrettung muss man sagen, dass Sie bei der Auswahl Ihrer Auftritte sehr hohe Standards setzen.
Ich war letztens bei „Cindy aus Marzahn“, habe gerade alles mitgenommen.
Oh, tatsächlich? Ja dann machen sich Ihre Fans womöglich zu Recht Sorgen um Sie.
Mal davon abgesehen, dass mir aus Künstlerperspektive vom Niveau her solche Kommerzsachen inzwischen fast lieber sind als öffentlich-rechtliche Formate, habe ich das vor allem gemacht, um mit meinem neuen Programm den Berliner Admiralspalast vollzukriegen. Ich hatte einfach Muffe, dass wir das Ding in die Miesen fahren.
Welche Rolle spielt Geld bei Ihrem Unbehagen am Ruhm?
Ganz wichtiges Thema. Ich habe plötzlich mehr Geld, als ich im Moment ausgeben kann, ich wüsste auch gar nicht, wofür. Aber ich könnte. Ich habe es nicht drauf angelegt, aber das bleibt nicht aus, wenn da jeden Abend 500 Leute sitzen. Und durch das Geld entferne ich mich ganz automatisch von der Lebensrealität von Freunden von früher, die rumkrepeln, keine Kohle haben. Dieses Gefälle lässt sich nicht wegdiskutieren und belastet Freundschaften. Und anders als Comedians, die sich hinter Ihren Kunstfiguren aus kleinen Verhältnissen verstecken, bleibt mir nichts anderes übrig, als diese Verschiebung zu thematisieren.
Wie denn?
In meinem neuen Programm gibt es einen Song mit dem Titel „Oben“. „Ist das schön, von hier oben runterzuschauen“, singe ich – mit Krone auf dem erlauchten Haupt. Ich singe Lieder über arme Bundesländer und werde damit reich. Das ist schon zynisch irgendwie. Die Frage ist: Wie mache ich jetzt weiter?
Ist Rainald Grebe als Bühnenfigur am Ende?
Ich habe schon Fluchtgedanken: Noch einmal große Oper mit Orchester und allem Pipapo, dann will ich wieder Klavier in kleinen Klitschen spielen. Das wäre eine Befreiung. Bitte nicht missverstehen: Ich klage nicht, das wäre ja absurd, aber der Druck hat spürbar zugenommen.
Wäre es jetzt nicht vielleicht an der Zeit, die Puppe wieder aus dem Schrank zu holen?
Nächstes Jahr mache ich das. Davon bin ich fest überzeugt. Das ist eine sehr bezaubernde Welt.
■ David Denk, 29, ist taz-Medienredakteur. Er besitzt eine Krawatte, die er nie trägt