: Eine Blinden-App für Bücherwürmer
ENTWICKLUNG Nach den Farben folgen nun Bücher. Programmierer aus Dresden machen Nichtsehenden eine Bibliothek zugänglich
■ von anderen Programmierern: Der Looktel Geldleser zum Erkennen von Geldscheinen.
■ Digit Eyes, ein Barcode-Scanner zum Identifizieren von gekauften Produkten. Oder Blindsquare, eine App zur Navigation und Orientierung.
■ Nicht speziell für Blinde entwickelt, aber trotzdem für Blinde und Sehbehinderte sehr wichtig und nützlich sind die elektronischen Bücher bei iBooks (Apple) oder dem Kindle (Firma Amazon). Sie bieten barrierefreien Zugang zu sehr vielen E-Books, besonders auch aktuelle Werke. Dann der DB Navigator der Deutschen Bahn oder der Abfahrtsmonitor, der ÖPNV-Abfahrtszeiten in Deutschland zeigt.
VON MORITZ HOLLER
Eine neue App, also eine zusätzliche Anwendung für Mobilfunkgeräte mit einem speziellen Zweck, ist Ende März unter dem etwas sperrigen Namen BliBu NBH&CB erschienen. Sie ermöglicht blinden und sehbehinderten Handynutzern den Zugriff auf den Bestandskatalog der Norddeutschen Blindenhörbücherei (NBH). Neben detaillierten Informationen zu allen vorhandenen Büchern in Brailleschrift und Hörbüchern erlauben weitere Funktionen der App, Bände zu bestellen oder vorzumerken.
Die vollständige Bedienung erfolgt durch die Kombination von handyeigener Vorlesefunktion und Spracheingabe. Die angeforderten Werke werden dem Nutzer dann zugeschickt.
Bei der kostenlosen App handelt es sich um ein gemeinsames Angebot des Vereins NBH und der Stiftung Centralbibliothek für Blinde (CB) in Hamburg. Verantwortlich für die Entwicklung ist der Informatiker Jan Blüher, der sich mit seiner Firma visorApps auf die Programmierung von Anwendungen für die Bedürfnisse von Blinden und Sehbehinderten konzentriert. Blüher ist selber seit dem 20. Lebensjahr aufgrund einer genetisch vererbten Netzhautablösung vollkommen erblindet. Er brach daraufhin sein Physikstudium in Dresden ab und begann dort stattdessen, Informatik zu studieren, da sich die Fakultät durch ihre Barrierefreiheit auszeichnete. Nach abgeschlossenem Studium gelang es Blüher zu promovieren, das Unternehmen visorApps gründete er Ende 2011. Das erste Produkt wurde eine App, welche Benutzern mit Sehschwierigkeiten die Identifizierung von Farben in ihrer Umgebung erlaubt. Diese sogenannte ColorVisor-App erkennt rund 500 Farbnuancen und sorgte bei ihrem Erscheinen 2012 für mediales Aufsehen.
Blüher programmiert ausschließlich für iPhones, da diese mit ihrer eingebauten Vorlesefunktion Screenreader und der Spracheingabe VoiceOver für Menschen ohne oder mit eingeschränkter Sehkraft besonders geeignet und somit barrierefrei sind. Und so ist auch die neue Büchereiapp Bilbiu NBH&CB bis jetzt lediglich für iPhones ab der Version 7.0 des internen Betriebssystem iOS geeignet.
Ob es eine Adaption auf Android-gesteuerte Geräte geben wird, werde von der Nachfrage abhängen, so Elke Dittmer, die Geschäftsführerin von Verein und Stiftung. Darüber hinaus müsse man in diesem Falle auch einen ähnlich versierten und mit der Problematik der Sehbehinderten vertauten Programmierer für Android-Systeme finden, wie es Jan Blüher für die Apps von Apple sei.
Bei der Programmierung von BliBu NBH&CB lag ein großer Teil der Arbeit in der Bereitstellung der Katalog- und Nutzerdaten auf den Endgeräten und der Synchronisierung dieser Daten mit dem zentralen Server der Bibliothek, wo ebenfalls Programmierungen seitens eines zusätzlichen Informatikers erfolgten. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit lag in der optischen Gestaltung der Benutzeroberfläche, da die App zwar einerseits von blinden und sehbehinderten Nutzern mühelos akustisch bedienbar ausfallen, anderseits aber auch von Angehörigen visuell zu steuern seien sollte, die noch schwach sehen können.
Die Programmierung dauerte insgesamt gut ein halbes Jahr, die Kosten einer derartigen App gehen gewöhnlich in den fünf-stelligen Bereich. Bis jetzt sei die App zwischen 150 und 200 Mal und vor allem von technisch versierteren Benutzern heruntergeladen worden, so Dittmer. Über die bibliotheksinterne Kunden-Hör-Zeitschrift Hamburger Literaturjournal werden Ende Mai noch einmal alle Nutzer und Mitglieder über die App informiert.
Laut Blüher und Dittmer werde der nächste logische Entwicklungsschritt nun die Digitalisierung der Hörbücher im Bibliothekskatalog sein. Hier gibt es laut Dittmer allerdings Potential für Komplikationen: Die großen Datenmengen, die durch digitalisierte Hörbücher entstehen, seien eine Herausforderung für die Serverleistung. „Es zeigt sich zunehmend, dass die digitale Spaltung eine zwischen Stadt- und Landbevölkerung ist. Unsere App ist so programmiert, dass der Katalog noch gut über das Handynetz herunterladbar ist und sogar offline benutzt werden kann. Wenn aber mal Hörbücher mit durchschnittlich 10 Stunden Spielzeit transferiert werden sollen, wird es nur in Orten mit guter Netzanbindung funktionieren.“
Trotz dieser Problematik ist der Fortschritt der sich anbahnenden Entwicklung eindeutig. Smartphones können mit originellen und sinnvoll eingesetzten sowie einfach steuerbaren Apps einen deutlichen Anstieg an Lebensqualität und Selbstständigkeit für Menschen mit Beeinträchtigungen bedeuten.