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Archiv-Artikel

EINE GUTE FRAU IST WIE EINE GUTE GEHEIMPOLIZEI. SIE ERAHNT SCHLECHTE SCHWINGUNGEN IM VORAUS Ein entschlossener Ruck geht durch den Mann

Liebling der Massen

ULI HANNEMANN

Nun ist es doch passiert. Ich habe den einzigen Vorteil eingebüßt, der mich in der Balz einigermaßen konkurrenzfähig hielt: Anscheinend schnarche auch ich neuerdings. Nicht zu schnarchen war bis dahin mein wertvollster Trumpf. Denn die meisten Männer knattern dem Vernehmen nach wie Laubbläser.

Das nervt die Frau. Da können sie die ganze Nacht mit goldener Laute vor dem Balkon der Angebeteten performen und ihr Kamellen in den offenen Rachen schmeißen – sobald sie sich im ersten Testdurchlauf als Schnarchsäcke erweisen, können sie ihr Instrument wieder einpacken.

Umgekehrt machte meine Fähigkeit, nicht zu schnarchen, sämtliche Nachteile mühelos wett. Bislang war es doch so: Ich konnte unaufmerksam, tollpatschig, illoyal, dumm, geizig, schmutzig, schlampig, vergesslich, bösartig, stillos und im Bett so schlecht wie alte Brotkrümel sein, Hauptsache, ich habe nicht geschnarcht, es sei denn, ich war betrunken oder erkältet. Das war meine Green Card ins Glück. Wer nicht schnarcht, findet immer eine schicke Frau, jedes andere Kriterium ist zweitrangig.

Vorbei. Irgendwas ist wohl kaputtgegangen, nun schnarche ich plötzlich und muss versuchen, mich anderweitig nützlich zu machen. Ich kann allerdings sehr wenig, den Einkauf tragen vielleicht noch. Das tue ich gerade. Auf dem Heimweg vom Kaufladen gehe ich gebeugt unter der Last des schweren Beutels, während sie stets drei Schritte vor mir hergeht, als ob man uns nicht zusammen sehen soll. Sie ist schlecht gelaunt, wer möchte ihr das verdenken, da sie wegen meines Gesäges kein Auge zutun konnte, ich gebe vorsichtshalber keinen Mucks von mir.

„Ich komme mir vor wie so ’ne Fundamentalistenmutti, die hinter ihrem Typ herdackelt“, platzt es schließlich doch aus mir heraus. „Natürlich“, gibt sie mürrisch zurück. „Du bist auch so ’ne Fundamentalistenmutti. Und jetzt: Klappe!“

Schweigend gehen wir weiter. Da kommt uns ein Paar entgegen. Eine kleine Frau, ein großer Mann, sie hält ihn an der Hand wie einen Schulbuben, in der anderen schleppt er eine Tüte, sie trägt nichts, ist frei, eine freie Frau, eine Freifrau. Eine Rollenverteilung wie bei uns – das fällt meiner Freundin sofort auf, mir ebenso, sein Blick hingegen ist leer und resigniert. Noch.

Doch als er mich wahrnimmt, blitzt auf einmal so etwas wie Erwachen in seinen müden Augen auf. Er mustert mich, fast aggressiv, als erkenne er in mir zum ersten Mal das Spiegelbild seiner eigenen geschundenen Persönlichkeit. Die sich gleich in ihren Ketten aufbäumen wird. Als wir die beiden passieren, spüre ich förmlich sein sich anbahnendes Aufbegehren. Ich sehe ihn innerlich vor mir, wie er nur wenige Meter weiter stehen bleibt, die Tüte mit kühnem Schwung auf dem Bürgersteig abstellt, wie ein entschlossener Ruck durch seine gebückte Gestalt geht, die sich strafft, und wie er den Mund öffnet, revolutionäre Worte im Sinn, die sein Leben nachhaltig verändern werden.

Doch bevor ihm auch nur ein Laut entfleucht, hat er schon eine Backpfeife sitzen. „Hat hier jemand etwas von Pause gesagt, du Träumer?“, herrscht sie ihn an. „Trag deinen Kram und überlass das Denken mir. Wer hat dir bloß solche Flausen in den Kopf gesetzt? Womit hab ich das verdient?“

Und dabei hat er noch gar nichts gesagt. Aber eine gute Frau ist wie eine gute Geheimpolizei. Sie erahnt schlechte Schwingungen im Voraus oder spätestens beim ersten kleinen Anzeichen und weiß sie im Keim zu ersticken. Bedröppelt greift er nach dem Henkel der Tüte, auf seiner rechten Wange zeichnen sich deutlich die Abdrücke sämtlicher fünf Finger seiner Liebsten ab. Umsturz beendet. Das wird ihm eine Lehre sein.

Solcherlei zwecklose Zwergenaufstände habe ich zum Glück längst hinter mir gelassen. Bereitwillig trage ich die Sachen meiner Freundin in den vierten Stock und räume sie dort in den Kühlschrank, was eine der wenigen anderen Verrichtungen ist, die ich ausführen kann und darf. Sie macht sich so lange einen Espresso, an die Maschine soll ich ja nicht, die ist kompliziert und teuer. Danach halten wir Mittagsschlaf. Hoffentlich schnarche ich nicht zu laut, sonst fällt auch hier der Watschenbaum um.