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Archiv-Artikel

Der Geschmacksdiktator

Ein Haus, ein Block, ein Fensterloch – so sieht die architektonische Erbschaft aus, die der stets antimodernistisch aufgelegte Hans Stimmann hinterlässt, wenn er morgen als Senatsbaudirektor von Berlin abtreten wird

Vor zwei Wochen, als die historisch rekonstruierte Monbijoubrücke hinüber zur Museumsinsel vor dem ebenfalls frisch sanierten Berliner Bodemuseum eingeweiht wurde, hielt sich der Senatsbaudirektor vornehm im Hintergrund. Ein paar Jahre zuvor wäre es undenkbar gewesen, dass Hans Stimmann sich bei einem neuen Bauwerk – noch dazu in einem Altberliner Gewand – nicht zu einer Lobeshymne auf die preußische Baukultur hätte hinreißen lassen. Heute ist das nicht mehr nötig. Ein Bau wie die Brücke oder das geplante barocke Stadtschloss gehen in Berlin ohne Diskussion durch. Über moderne oder historisierende Architektur gibt es keinen Diskurs mehr, kein Gezänk wie noch in den 1990er-Jahren. Stimmann hat all das beendet. Wenn er heute in Rente geht, hinterlässt er dieses von ihm selbst geschaffene Vakuum.

Der mächtigste Mann der Berliner Stadtgestaltung hat indessen lange polarisiert und den „Berliner Architekturstreit“ mit harten Bandagen ausgefochten. Moderne Architekten und modernistische Architekturvostellungen à la Rem Koolhaas konnten in Stimmanns Bau-Kosmos ebenso wenig wie Verfechter der Nachkriegsarchitektur landen.

„Berlin wurde nicht nur durch den Zweiten Weltkrieg zerstört, viel größere Schäden richteten die Abrisse und Planungen der Nachkriegszeit an“, sagte Stimmann zu Beginn seiner Amtszeit 1991. Der sozialistische Städtebau im Ostteil der Stadt und die Moderne im Westen – etwa das berühmte Kulturforum – standen seitdem auf dem Index. Allen Versuchen, diese Bauten historisch zu legitimieren, begegnete der Senatsbaudirektor mit einem Argument: „Stadt ist das nicht, was da errichtet wurde“, so sein Urteil, vielmehr sei dies „Stadtzerstörung“ gewesen.

Stimmanns Bild von Berlin war das vom Berlin des 19. Jahrhunderts: dicht bebaut, bürgerlich und repräsentativ genutzt, aus großen Blöcken, mit Häusern aus steinernen Fassaden und mit Plätzen klarer Konfiguration geplant. Dieses „Ideal einer europäischen Stadt“ – im „Unterschied zum amerikanischen Stadtmodell“ – sollte in der Folge baulich wiedererlangt werden.

Experimente wie noch 1992 am Potsdamer Platz aus einer Melange von Hochhäusern und engen Kästen waren für den Senatsbaudirektor kein Weg für Berlins Stadtgestaltung. Die Architekturen des neuen Regierungsviertels schätzte er nicht, auch nicht deren Architekten. „Ausreißer“ wie etwa Daniel Libeskind (Jüdisches Museum) oder Peter Zumthor (Entwurf Topographie des Terrors) strafte Stimmann manchmal gar mit Verachtung.

Stattdessen erhob Stimmann das „Planwerk Innenstadt“ zum Zukunftsmodell für die Hauptstadt. Der Stadtgrundriss von vor 1939 ist seither Grundlage der Stadtgestaltung, die Historie ein dominanter Maßstab für die Architekturen. Es wird das fragwürdige Vermächtnis von Hans Stimmann für Berlin bleiben, dass die Strategie der sogenannten „kritischen Rekonstruktion“, der „steinernen Fassaden“ und des „preußischen Stils“ sich erst wie ein Programm, dann aber wie Mehltau über die Entwicklung Berlins legte. Während Straßenzüge in der östlichen Innenstadt, Teile von Kreuzberg und Mitte im Konzept der historischen Rekonstruktion von Gebäuden und Räumen gewannen, versanken Orte wie der Pariser Platz, der Leipziger Platz, die Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße oder der geplante Alexanderplatz in der Starrheit des Konzepts. Ein Haus, ein Block, ein Fensterloch neben dem nächsten stehen dort.

Stimmann hat diese Geschmacksdiktatur niemals erkennen wollen und immer davon gesprochen, dass in Berlin die halbe Welt, von Hutton/Sauerbruch bis Peter Eisenman, bauen könne. Zur Avantgarde hat das in Berlin aber nicht beigetragen. Im Gegenteil. Es muss wohl der chaotische Eindruck eines Berlins im Aufbruch gewesen sein, das der 1991 von Lübeck an die Spree geholte Stimmann niemals erleben wollte. „Das war eine Zeit der Euphorie, in der die Investoren glaubten, alles durchsetzen zu können. Manche glaubten sogar, sie bekommen schon am nächsten Tag eine Baugemehmigung“, sagte er jüngst an seinem 65. Geburtstag. Stimmann hat auch diese gezügelt, vielfach deren Visionen platzen lassen. Auch daran wird man sich einmal erinnern.

ROLF LAUTENSCHLÄGER