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Archiv-Artikel

Bunte Schale, harter Kern

ENGLAND Mit „i“ will der „Independent“ junge Leser gewinnen und den Auflagensinkflug stoppen. Der Ableger sieht nach Boulevard aus, überzeugt aber durch seriöse Inhalte

„i“ versteht sich als Qualitätszeitung – für Leser mit wenig Zeit. Kein Artikel ist länger als 400 Wörter

AUS LONDON STEFFEN GRIMBERG

Was tut eine Zeitung, bei der Auflage wie Einnahmen im Sinkflug sind? Sie legt – Vorsicht, bilingualer Sprachwitz – ein Ei: Seit zwei Wochen gibt es i, Untertitel: „The paper for today“, als Ableger des britischen Independent. Mit modern-peppigem Design will i die Generation iPad, iPod und iPhone erreichen, die auch in Großbritannien klassischen Zeitungen mehr und mehr den Rücken kehrt. I heißt auf Deutsch „ich“ – und i setzt ganz ungeniert auf leicht konsumierbaren, bunten Hedonismus.

Während die Dienstagausgabe des klassischen Independent mit der Finanzkrise in Irland aufmacht, scheint i mit einer rührseligen Geschichte über eine während ihrer Flitterwochen in Südafrika ermordete Frau aus Bristol, Clint Eastwoods Lieblingsfilmpostern und den „10 besten Partyschuhen“ auf stinknormalen Boulevard zu setzen. Doch der Schein trügt: Hinter der eher lahmen Titelseite verbirgt sich die Kompaktform des Independent, garniert mit einigen Extras wie einem täglichen „Letter from the Editor“ von Chefredakteur Simon Kellner, der für beide Blätter verantwortlich ist. Und das ist alles andere als Boulevard. Auch die Auslandsberichterstattung rangiert weit vorn, was den Vergleich anderer britischer Zeitungen, i sei eine etwas noblere Version der Gratiszeitung Metro, deutlich hinken lässt.

Das Blatt i versteht sich klar als Qualitätszeitung – für LeserInnen, denen die oft rund 100-seitigen Elaborate der großen Blätter schlicht zu viel sind. Während Journalisten dicke Zeitungen für das Optimum hielten, „stimmt für viele Leser das Preis-Leistungs-Verhältnis mittlerweile nicht mehr“, sagt Simon Kellner. „Sie haben einen vollen Terminkalender und kommen nur dazu, einen Bruchteil zu lesen.“

In der i ist kein Artikel länger als 400 Wörter – was immer noch länger als gängiger Boulevard ist. Zwölf neue RedakteurInnen wurden eingestellt; deren Hauptaufgabe allerdings ist, die Independent-Inhalte auf i-Formate zu kürzen. Eine wegweisende Eigenleistung ist dabei das TV-Programm: Statt einer eintönigen Programmliste sortiert i das Angebot mit thematischen Kurzkritiken – von „US-Serien“ über „Dokumentationen“ bis zu „Kunst“ und „Tierfilmen“. Das geht weit über jede Gratiszeitung, aber auch den Service im „großen“ Independent hinaus.

Vom Preis her ist i hingegen näher an Metro als am Mutterblatt: Für i reichen 20 Pence (rund 25 Cent), während der Independent wie die meisten britischen Qualitätstitel unter der Woche 1 Pfund kostet. Damit ist i derzeit die billigste kostenpflichtige Zeitung in Großbritannien. Und soll nichts anderes als – den Independent retten. Denn der funzelt mit nur noch rund 182.000 täglich verkauften Exemplaren als Schlusslicht der britischen Qualitätspresse. Die ebenfalls liberale Konkurrenz, der Guardian, kommt immerhin auf 276.000, die konservativen Blätter Times und Daily Telegraph verkaufen 476.000 bzw. 655.000 Exemplare am Tag.

Wegen der niedrigen Auflage sinken beim Independent auch die Werbeeinnahmen noch stärker als bei den anderen Titeln. Wie bei Springers Welt-Gruppe soll nun eine kombinierte Auflage von Independent und i die Sache in Ordnung bringen: Die Welt konnte dank Einführung der Welt kompakt erstmals nennenswerte Auflagenzuwächse melden. In Großbritannien will die vom früheren KGB-Agenten Alexander Lebedjew geführte Independent Print Limited die gemeinsame Auflage auf ca. 400.000 Exemplare steigern.

Bis dorthin ist es noch ein langer Weg: Das bunte i verkaufte sich in den ersten zwei Wochen im Mittel rund 125.000-mal, schreibt der Guardian. Das mag auch daran liegen, dass i nicht eben üppig beworben wird – statt TV-Spots gibt es nur ein bisschen Plakatwerbung. „Britische Journalisten sind die besten in der Welt“, sagt Lebedjew in einem kleinen Video zum Start von i, da brauche man „keine Promotion – es ist Sache der Leser, zu entscheiden“. Das ist vielleicht ein bisschen wenig für die „erste neue landesweite Zeitung seit 25 Jahren“. Die letzte war übrigens – der Independent.