: berliner szenen Schöner lesen
Geheime Botschaften
Die Schilder dieser Stadt sprechen mit mir. Schon seit geraumer Zeit rufen sie mir zu, wenn ich über das holprige Pflaster im Skandinavischen Viertel, zwischen Bornholmerstraße und Schivelbeinerstraße, stolpere: „Geh weg, Schäden!“ An manchen Ecken ertönt der empörte Ausruf: „Fahrrad weg!“ „Genau!“ rufe ich zurück. Drei Fahrräder sind mir im letzten Jahr gestohlen worden. Werde ich hier öffentlich verhöhnt?
Abgesehen von diesen lauten Schreien der Stadt, führt meine Weigerung, eine Brille zu tragen, teilweise zu Missverständnissen. Vor einem Laden in Neukölln werden „traurige Ringe und Schmuck“ angepriesen. Ich frage mich oft, wer emotionale Wertgegenstände kaufen will. Ein Schild, neben der Rolltreppe runter in die Lebensmittelabteilung von Karstadt am Hermannplatz, versucht mir wiederholt den Mund mit „lebenden Krapfen“ wässrig zu machen. Schreien diese Pfannekuchen, wenn man in sie hineinbeißt? Letzte Woche halte ich an einer Ampel neben einem Lieferwagen der „Lachklinik – für Beulen und Kratzer“. Ich lache dem Fahrer zu. Er hat ein blaues Auge und findet das gar nicht lustig.
Meine eigene Kurzsichtigkeit aber ist harmlos gegen die Macken manch anderer Berliner, besonders im Straßenverkehr. Heute Morgen radle ich auf der Schönhauser Allee entlang. Eine Fahrradfahrerin kommt mir entgegen und fährt über eine rote Ampel. Fast wird sie von einem schwarzen Mercedes überfahren, der um die Ecke rast. Das Auto bremst in letzter Sekunde. „Dit war rot, Perle!“, brüllt ein Mann aus dem Autofenster heraus, ein Brillenträger. „Nächstes Mal fahr ich dich um“, fügt er laut hinzu. „Selber!“, ruft die Frau auf dem Fahrrad. Ob ein Hörgerät sie retten könnte? MAREIKE BARMEYER