piwik no script img

Archiv-Artikel

„Sofort elektrisiert“

FERNOST IM BREMER OSTEN Osterholz-Tenever bringt seine fünfte Stadtteil-Oper auf die Bühne

Karsten Gundermann

■ 47, studierte an der Nationalakademie für Chinesisches Theater in Peking und lebt als freischaffender Komponist in Hamburg.

taz: Herr Gundermann, Sie haben in China studiert und schreiben jetzt eine vietnamesische Oper. Wie kommt’s?

Karsten Gundermann: Durch einen Auftrag der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen – der mich sofort elektrisiert hat. Denn das ist das erste Mal, dass sich ein deutsches Orchester intensiv mit der vietnamesischen Musikkultur auseinandersetzt.

Sind das denn ähnliche Klangsprachen, die chinesische und die aus Vietnam?

Die Vietnamesen sind natürlich sehr stolz auf Stücke und Instrumente, die nur sie haben. Andererseits würde ein europäischer Hörer diese Musik, mangels Kenntnissen, vermutlich leicht mit der chinesischen verwechseln. Europäische Musik hat ja auch Gemeinsamkeiten, obwohl wir als Europäer natürlich deutlich zwischen Musik beispielsweise aus Spanien und Schweden unterscheiden.

Sie haben „Drachensöhne und Feentöchter“ als Stadtteil-Oper für Osterholz-Tenever geschrieben. Leben dort viele Vietnamesen?

Nein, aber das ist ja gerade ein Vorteil. So haben alle eine ähnliche Distanz, aus der sie sich dem Projekt nähern können.

Wenn Sie eine anatolische Oper schreiben würden, wäre das zu gruppenspezifisch?

Genau. Wir wollen ja nicht, dass so ein Projekt dominant von einer Gruppe „besetzt“ wird, sondern einen hohen Grad an Durchmischung und Vernetzung. Wir haben 600 Mitwirkende aus 80 Nationen, auch aus der Gesamtschule Ost, in der die Kammerphilharmonie ihr Probenzentrum hat.

Was es für Sie eine große Umstellung, statt „chinesisch“ „vietnamesisch“ zu arbeiten?

Man merkt, dass dieser fürchterliche Vietnamkrieg auch in der Musikwissenschaft Spuren hinterlassen: Es fehlen 30 Jahre, in denen nichts auf Englisch dokumentiert wurde. Die Franzosen hatten in den 50er-Jahren begonnen, etliches aufzuschreiben, aber dann waren sie ja weg, und in den 60er- bis 80er-Jahren geschah nichts in diese Richtung. Für einen Europäer ist das eine sehr schwierige Quellenlage, so dass ich mich relativ mühselig durch originalsprachliche Sachen durchbeißen musste. In Bezug auf Vietnam gibt es bei uns großen Nachholbedarf und es ist höchste Zeit, mal mit ein paar Projekten anzufangen. INTERVIEW: HENNING BLEYL

Aufführungen: Heute und morgen, jeweils um 19.30 Uhr, Grüner Hügel