Irakisches Bildungswesen vor dem Kollaps

Die bewaffneten Mörderbanden im Irak zielen auf Ärzte, Professoren und selbst einfache Grundschullehrer

Seit dem Sturz des Saddam-Regimes sind mehr als 150 Professoren ermordet worden

ERBIL taz ■ Akademiker geraten im Irak zusehends ins Visier von Gewalttätern. Seit dem Sturz des Saddam-Regimes sind nach Angaben des Bildungsministeriums mehr als 150 Professoren ermordet worden. Berufsvereinigungen gehen von weit mehr Todesopfern aus. Kollegen drohen mit einem Unterrichtsboykott – und warnen vor einem Kollaps des gesamten Bildungswesens.

Oft werden sunnitische Extremisten für die Morde verantwortlich gemacht. Obwohl früher auch viele Sunniten unter den Opfern waren: Kurz nach dem Sturz des Saddam-Regimes hatten schiitische Fundamentalisten Professoren ermordet, die Mitglieder der Baath-Partei waren. Heute werden zahlreiche Institute von schiitischen Milizen kontrolliert. Zudem kommt es immer wieder vor, dass mit ihren Noten unzufriedene Studenten Professoren oder Lehrer aus Rache erschießen.

Drohungen von allen Seiten gehören an Schulen und Universitäten mittlerweile so sehr zum Alltag, dass sich hunderte Lehrkräfte bereits vom Dienst haben befreien lassen. Es sind besonders die Bessergebildeten, die in den Nachbarländern Zuflucht suchen. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR treffen täglich allein 2.000 Flüchtlinge an der syrischen Grenze ein.

Besonders gravierend ist nach Angaben von Professoren der Ausfall in den naturwissenschaftlichen Fächern und an den juristischen Fakultäten. Um den Lehrbetrieb überhaupt noch am Laufen zu halten, behelfe man sich mittlerweile mit frisch Graduierten oder Doktoranden, erklärte kürzlich die Professorenvereinigung.

Dabei ist längst nicht nur Bagdad betroffen, auch die Unruheregionen im Norden und Westen des Landes spüren die Professorenflucht. An manchen Einrichtungen ist die Zahl der Lehrkräfte auf die Hälfte schrumpft. Immer mehr Eltern fürchten um das Wohl ihrer Kinder. Er überlege sich ernsthaft, seine Kinder von der Schule zu nehmen, sagte dieser Tage ein Geschäftsmann aus Bagdad der taz. Seine Familie lebt im sunnitischen Stadtteil Adhamiya. Kein Tag vergehe, an dem die Kinder auf dem Schulweg nicht an Leichen vorbeikämen. Er wisse nicht, wie lange er ihnen dieses Grauen noch antun könne. INGA ROGG