: „Der Nationalismus dominierte“
TRADITION Die Schützen sind einmal als demokratische Opposition angetreten. Doch dann folgte in vielen Vereinen der Pakt mit den Nazis. Aufgearbeitet wurde das bisher wenig
■ 32, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. 2010 erschien sein Buch „Schützenvereine im Nationalsozialismus“.
taz: Herr Borggräfe, sind Sie über Ihre wissenschaftliche Arbeit hinaus mit Schützenvereinen in Kontakt gekommen?
Henning Borggräfe: Nein, privat habe ich damit gar nichts zu tun. Ich habe mich mit dem Nationalismus im 19. Jahrhundert beschäftigt und da spielen die Schützen als Teil der nationalen Bewegung eine wichtige Rolle. Dann hat mich interessiert, was diese Vereine zur Zeit des Nationalsozialismus getan haben.
Die Schützenvereine als nationaldemokratische Opposition entstanden – warum ist von dem demokratischen Anteil in der öffentlichen Wahrnehmung so wenig geblieben?
Im 19. Jahrhundert waren die Vereine tatsächlich Teil der bürgerlich-demokratischen Bewegung. Die meisten heutigen Vereine, gerade auf dem Land, sind allerdings erst in den 1920er-Jahren entstanden.
Und haben die eigene Tradition aus dem Blick verloren?
Das hängt wohl eher mit dem heutigen Blick von außen zusammen: In einer demokratisch verfassten Gesellschaft fällt die bürgerliche Selbstorganisation nicht mehr aus der Norm. Da stellt man eher die Frage: Was ist rückschrittlich an der Struktur der Schützenvereine?
Wie fortschrittlich waren sie in der Weimarer Republik?
Sie haben sich definitiv nicht als Träger der Demokratie präsentiert. Was dominierte, war der Nationalismus und Bezug auf die engere lokale Heimat.
Es gab auch Arbeiter-Schützenvereine.
Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Wenn wir heute an Schützenvereine denken, haben wir die in prunkvoller Uniform auftretenden Schützen mit ihren Festen vor Augen. Neben diesen existierten in Weimar aber viele andere Vereine, die Schießsport betrieben, um den Umgang mit der Waffe für den Ernstfall zu üben. Es gab viele Vereine im Umfeld der paramilitärischen Wehrverbände der Rechten – aber auch streng katholische Vereine und eben Arbeiter-Schützenvereine.
Wann endete deren Geschichte?
Sie sind, wie die gesamte Arbeiterbewegung, 1933 zerstört worden. Wobei man nicht sagen kann, dass die bürgerlichen Schützenvereine das bedauert hätten. Auch dass die Gestapo ab 1936 gegen die katholischen Vereine vorging, hießen andere Schützen gut.
Wenn Sie „bürgerlich“ sagen – reichte das Interesse bis in die obersten Schichten oder blieb der Professor lieber draußen?
Über das städtische Bildungsbürgertum reden wir hier nicht. Es gibt Untersuchungen zur Nazizeit, deren Ergebnisse vermutlich annähernd noch für heute gelten: Handwerker und Kaufleute dominierten, also kleineres und mittleres, alteingesessenes Bürgertum. Wogegen die Arbeiter zwar nicht per Satzung, aber durch recht hohe Mitgliedsbeiträge ferngehalten wurden.
Wer musste sonst draußen bleiben?
Laut Satzung Frauen und Jugendliche. Es sind Vereine erwachsener männlicher Bürger.
Mit den Frauen tut man sich immer noch schwer.
Dass sie schießen dürfen, ist in vielen Vereinen Konsens. Ob sie aber beim Zug mitmarschieren, auf den König schießen und mitwählen, ist hoch umstritten.
Ein Archivar des Deutschen Schützenbundes sagte 1986, dass sich die Schützenvereine nach 1918 vom Militärwesen abwandten. Stimmt das?
Wenn man die Praxis in der Weimarer Republik anschaut, gibt es zwei große Gruppen: eine – in deren Tradition übrigens der Deutsche Schützenbund steht –, die Schießsport eindeutig mit dem Hintergedanken der Wehrhaftmachung betrieb, und eine zweite Gruppe, die sich auf die Pflege der Gemeinschaft konzentrierte. Die wurde von der ersten Gruppe massiv kritisiert, weil das Schießen für sie keine Rolle spielte, es sei denn einmal pro Jahr beim Schützenfest.
Das heißt, der Druck kam 1933 nicht aus der nationalsozialistischen Politik, sondern von den anderen Schützenverbänden?
Man darf sich die sogenannte Gleichschaltung hier nicht als Prozess vorstellen, bei dem von oben eingegriffen wurde. Unter den Schützen sahen Fraktionen, die schon vor 1933 konkurrierten, nun die Möglichkeit, im Bund mit NS-Instanzen die eigenen Ziele durchzusetzen.
Wie stark war dann die Involvierung in die NS-Politik?
Das ist pauschal schwierig zu beantworten. Auf der Verbandsebene gab es eine hohe Bereitschaft mitzumachen. Man unterstützte das Verbot dezidiert katholischer Vereine und versuchte, die Praxis der Wehrhaftmachung in allen Vereinen durchzusetzen und nach Kriegsbeginn gemeinsam mit SA und HJ nochmals zu intensivieren. Auf Vereinsebene wurden Schützenfeste nun als Feste der „Volksgemeinschaft“ mit Bekenntnis zum Führer gefeiert und die jüdischen Mitglieder drängte man heraus, noch bevor es dazu gesetzliche Vorgaben gab. Andererseits gab es in vielen Vereinen auf uns eher banal erscheinenden Gebieten Widerspruch: der Versuch, Einheits-Uniformen einzuführen, ist gescheitert.
Gab es inzwischen eine Aufarbeitung dieser Zeit?
Da könnte man eine Parallelgeschichte vieler deutscher Vereine schreiben. Diejenigen, die die Vereine in den späten 40er- und frühen 50er-Jahren neu gründeten, waren meist dieselben, die sie im Nationalsozialismus geführt haben. Es gab lange keinen Anlass, sich mit der Vereinsgeschichte zu befassen. Das hat sich erst in den 80er-Jahren mit der Bewegung der Geschichte von unten langsam geändert. Der Deutsche Alpenverein hat sogar ein Forschungsprojekt zu seiner Geschichte in Auftrag gegeben. Der Schützenbund verhält sich dagegen wie der Feuerwehrverband oder das Technische Hilfswerk: Man gesteht ein, dass die Vergangenheit problematisch ist, sieht aber keinen Anlass, sich umfassend damit zu beschäftigen.
Woran liegt das?
Es hängt vermutlich davon ab, ob die Tätigkeit der Vereine für neue Bevölkerungsgruppen attraktiv wurde und so frischer Wind hereinkam. Beim Alpenverein wurde Bergsteigen auch jenseits des traditionellen Vereinsmilieus interessant.
Vergeben die Schützenvereine diese Chance – oder ist das schwierig, wenn Schießen das Hauptgeschäft ist?
Viele sind ja gar nicht mit Schießen beschäftigt. Meist geht es um Geselligkeit und das Pflegen von Traditionen. In vielen Vereinen gibt es heute eigene Untervereine für den Schießsport.
Friedericke Gräff
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