: Proletarierdrohnen, vereinigt euch!
THEATER Im HAU übernimmt ein System die Macht und dirigiert die 70 „Zuschauer“ durch eine Inszenierung. Dazu gibt es die famose Musik des Andromeda Mega Express Orchestras. Doch trotz allen Kontrollwahns wird daraus nicht mehr als ein simples Rollenspiel
Es war eine Premiere in doppelter Hinsicht. Sicher, von Performances oder Happenings ist man als Besucher einiges gewohnt. Dass man aber zu Beginn eines Abends im Theater möglichst viele Klamotten ablegt, um sich in einen hellblauen Schutzanzug zu zwängen und eine Haftungsverzichtserklärung genauso unterschreibt wie die Bestätigung, man folge widerstandslos den Anweisungen, die ein „System“ an einen stellt – das dürfte dann doch für die meisten neu gewesen sein.
„Willkommen im System“ begrüßte eine computergenerierte Stimme die Besucher, die am Donnerstagabend ins HAU 1 gekommen waren, um „ein Spiel für 70 Menschen, 18 Musiker und 2 Drohnen“ zu erleben – als solches hatten die Gastveranstalter des Berliner Spielkollektivs Invisible Playground den Abend „Drohnenmärchen“ angekündigt. Das Projekt wurde mit 80.000 Euro vom Hauptstadtkulturfonds gefördert.
Bei den Musikern handelte es sich um das famose Andromeda Mega Express Orchestra, das den Soundtrack darbot für jenes interaktive, transmediale Spiel, deren Entwicklung laut Veranstalter von Stanislaw Lems „Robotermärchen“ beeinflusst wurde. Das leuchtete ein, denn die Welt, die wir als Zuschauer betraten, war wie bei Lem eine von Maschinen beherrschte Welt.
70 Besucher in ihren Space-Anzügen drängen sich also zunächst auf der Bühne des HAU 1, die zum Spielfeld wird. Die Anweisungen des „Systems“ hören wir über Lautsprecher und lesen sie auf einer Leinwand. Das System führt derweil erste Tests an uns durch – beziehungsweise beschnuppert uns: Zwei Drohnen kreisen über uns, kleine Quadrocopter mit vierfachem Propellerantrieb. Sie überwachen uns. Ihr Ziel: Sie wollen, dass wir Teil des Systems werden. Welches Systems? Nicht ganz klar.
Bevor sie uns indoktrinieren, lassen sie uns aber erst noch chillen: Zu den groovigen Klängen des Andromeda Mega Express Orchestras – ein wildes Zusammenspiel von Geigen, Trompeten, Orgeln, Querflöten – liegen wir auf der Drehbühne des Theaters. Über uns: Projektionen von Sternen und Planeten. Nachdem wir uns mit diesem Universum vertraut gemacht haben, tut sich unberührtes Land vor uns auf: Wo sonst die Sitzreihen des HAU sind, ist nun ein nebliges, lediglich von zwei kleinen Pfaden durchzogenes Land.
Wir teilen uns auf in zwei Teams: Die Anweisung lautet, dieses Land zu bebauen. Wir selbst werden zu Bau- und Transportdrohnen ausgebildet. Unsere Bauteile sind kleine Schaumstoffwürfel. Ich bin Transportdrohne, sozusagen die Proletarierdrohne im posthumanen Zeitalter. Ich diene mit den anderen Proletarierdrohnen den Baudrohnen wie in einem Ameisenstaat. Es gibt strikte Transportregeln, manche gekennzeichnete Würfel darf man etwa nur mit mehreren Drohnen transportieren. Unser Team gewinnt! Wir bauen die höheren Türme.
Recht unvermittelt spielen wir im Anschluss in Fünfergruppen noch ein weiteres Spiel, in dem man sich – aus einer Auswahl – Charaktere und eine neue Welt zurechtspinnt. Jede der Gruppen schreibt ihr eigenes Märchen, unseres spielt unter dem Meeresgrund. Dies war der verzichtbare Part des Abends. Es sollten wohl witzige Geschichten entstehen, aber Witziges entsteht selten auf Anordnung.
Mit dem Abend, der mit einigen vorzüglichen Stücken des Andromeda Mega Express Orchestras zu Ende ging, hat Invisible Playground einfach zu wenig aus den Möglichkeiten gemacht, die die Versuchsanordnung des ersten Teils geboten hätte. Es blieb bei einem recht simplen Rollenspiel, dessen Mehrwert beschränkt war. Auch die Themen Kriegsführung, Überwachung und Drohnen hat das Kollektiv nicht wirklich zum Inhalt gemacht – eine vertane Chance. JENS UTHOFF
■ Wieder am 17., 18. Mai, 19.30 Uhr, HAU 1, beide ausverkauft