piwik no script img

Archiv-Artikel

„Gott ist kein Mann“

Die „Bibel in gerechter Sprache“ will die Frauen im Christentum sichtbar machen. Ein Interview mit der Unterstützerin Bärbel Wartenberg-Potter

INTERVIEW HEIDE OESTREICH

taz: Frau Wartenberg-Potter, beten Sie zu Gott oder zur Göttin?

Bärbel Wartenberg-Potter: Ich bete zu Gott. Gott hat viele Namen in der Bibel, etwa auch „Licht“ oder „Liebe“. Gemeint ist immer die Quelle des Lebens, die möglich macht, dass wir uns gerecht und lebendig auf dieser Erde bewegen.

Gibt es Situationen, in denen Sie Gott lieber als weibliche Kraft ansprechen?

Es gibt in der Bibel auch weibliche Gottesbilder: Barmherzigkeit etwa soll man sich so vorstellen, wie es dem Kind in der Gebärmutter geht. Es ist ganz umsorgt und geschützt. Deshalb kann man sich Gott ohne weiteres auch weiblich vorstellen.

Nun ist aber Gott im Alten Testament „Jahwe“ und im Neuen, etwa bei Paulus, „Kyrios“, der Herr. Diese männlichen Bezeichnungen können Sie doch nicht einfach mit „die Lebendige“, „die Ewige“ oder „die Heilige“ übersetzen, wie es in Ihrer neuen „Bibel in gerechter Sprache“ steht.

Die wichtigste Aussage der Bibel ist ja, dass wir uns überhaupt kein Bild von Gott machen sollen. Der Gottesname JHWH, den die jüdische Tradition nicht ausspricht, heißt lediglich „Ich werde da sein“. Das heißt: Gott ist erfahrbar in ganz verschiedenen Situationen. Die Namen und Bilder erwachsen aus diesen Situationen. Viele Menschen haben die Engführung auf den männlichen und herrschaftlichen Namen als unterdrückend erlebt. Deshalb ist es wichtig, die befreiende Kraft Gottes mit neuen und alten Bildern wieder zugänglich zu machen.

Der Preis dafür ist, dass man nicht sauber übersetzt.

Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Der Name Gottes ist unaussprechbar und unübersetzbar. Um mit diesem Dilemma umzugehen, übersetzt das Hebräische den Gottesnamen mit „Adonaj“, das heißt „Herr“. Aber dieser Name ist nur für Gott reserviert, nicht für andere Herren. Das Griechische macht daraus „Kyrios“. „Kyrios“ ist auch für andere Herrscher verwendbar. Der Begriff nimmt also etwas von der Einzigartigkeit Gottes, ebenso wie das lateinische „Dominus“. Und Luther übersetzt nun 7.000-mal „Herr“. Aber tatsächlich steht da nicht „Herr“, sondern „Ich werde da sein“. Diese Verfestigungen wollen wir mit der Öffnung der Bibelübersetzung hinterfragen. Gott ist kein Mann und ist kein Herr, sondern Quelle und Fülle des Lebens.

In der „Bibel in gerechter Sprache“ wimmelt es von Jüngerinnen, Königinnen, Pharisäerinnen oder „Geschwistern“. Das gebe der Originaltext nicht her, wird kritisiert.

Nehmen wir Paulus. Er schreibt zwar im Römerbrief immer „Brüder“. Aber am Ende lässt er 11 Frauen und 18 Männer grüßen. Paulus spricht die Frauen als Mitarbeiterinnen an. Manchmal waren sogar Frauen die Ersten, die Gemeinden zusammengerufen haben. Deshalb ist unbezweifelbar, dass Paulus die Frauen „mit meint“, wenn er von „Brüdern“ spricht. Aber dieses Unsichtbarmachen durch Sprache hat ernste Konsequenzen. Denn wenn es um Posten in der Kirche geht, dann sind Frauen plötzlich nicht mehr „mitgemeint“, dann heißt es auf einmal: „Da steht aber nur ‚Brüder‘.“

Sie können doch Paulus nicht zum Frauenfreund machen. „Das Weib schweige in der Kirche“, ist einer seiner Sprüche.

Das hat einen historischen Hintergrund. In der korinthischen Gemeinde gab es die Priesterinnen des Kults der Astarte: Sie haben mit offenen Haaren nach Schamanenart Prophezeiungen ausgesprochen. Als diese Frauen Christinnen wurden, sagte Paulus: „Also, so geht es nicht mehr, ihr sollt die Haare zusammenbinden und schweigen.“ Man hat daraus eine Ewigkeitsregel gemacht. Wenn die Frauen wirklich geschwiegen hätten, wäre die Ostergeschichte nicht erzählt worden und viel Missionsarbeit wäre unterblieben. Man hat diese historische Äußerung ontologisiert.

Jüngerinnen kommen aber in der Bibel nicht vor.

An vielen Stellen des Lukasevangeliums kann man nachweisen, dass mit dem Begriff Jünger mehr Menschen gemeint waren als nur die 12, die die Stämme Israels repräsentierten. Viele Frauen folgten Jesus nach. Wir wissen ja übrigens, dass die männlichen Jünger Jesus am Ende verlassen haben, die Frauen sind dageblieben. Frauen haben die Jesus-Bewegung auch zum Teil finanziert. Die feministische Forschung hat schon so viele Frauen wieder gefunden. Denken Sie an die Apostelin Junia, die in der Bibel lange als Mann, als Junias, beschrieben wurde. Auch die nichtfeministische Exegese erkennt das heute als Irrtum an.

Und präventiv schreiben Sie schon mal auch Pharisäerinnen und Königinnen in die „Bibel in gerechter Sprache“ hinein?

Nein, unsere Grundannahme ist, dass Frauen in der männlichen Form oft mitgemeint waren. Auch Historiker haben Frauen oft nicht wahrgenommen und unsichtbar gemacht.

Ihre neue Übersetzung wird in der FAZ als „Gesinnungskult feministischer Randgruppen und Gleichmacher“ geschmäht. Ist das Kollektiv, das diese Bibel übersetzt hat, ein Randphänomen in der Kirche?

Also ich will Ihnen mal was sagen: Durch die feministische Theologie, durch den christlich-jüdischen Dialog und durch die Befreiungstheologie, ist die Bibel überhaupt erst wieder für viele Menschen interessant geworden.

Für wen?

Für Menschen in der Kirche und auch außerhalb. In diesen Bereichen wächst die Forschung. Feministisches und befreiungstheologisches Neulesen der Bibel, etwa auf den Kirchentagen, hat die Bibel den Leuten überhaupt erst wieder näher gebracht, besonders den Frauen. Das als Randthema zu bezeichnen, verkennt, dass diese Gruppen erst wieder zur Lebendigkeit der Kirche beigetragen haben.

Die Katholiken haben eine Anweisung aus Rom, nach denen solche Neuübersetzungen in den Lesungen und in der Predigtarbeit nicht verwendet werden sollen. Wie machen es die evangelischen Christen?

Es gibt ja viele Übersetzungen. Für die evangelische Kirche ist nach wie vor die revidierte Lutherbibel im liturgischen Gebrauch, und das bleibt erst einmal so. Aber für den sonstigen Gebrauch ist jedem Christenmenschen freigestellt, wie er sich der Bibel nähert. Ich arbeite jedenfalls mit dieser neuen Bibel.

Feministische Theologie hat schon seit Jahren die weiblichen Anteile Gottes, die größere Geschlechtergerechtigkeit in den Urgemeinden oder die berühmte Apostelin Junia ausgegraben. Warum muss das nun noch in eine Bibelübersetzung eingebaut werden?

Das ist so ähnlich, als würden Sie sagen: Wir wissen ja, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, da brauchen wir doch keine Bundeskanzlerin mehr. Bestimmte Einsichten müssen sich in der Praxis auswirken. Die feministischen Theologinnen haben viel wissenschaftliche Forschungsarbeit geleistet. Und diese neuen Erkenntnisse müssen in den Mainstream einfließen.

Wie gehen Sie mit der patriarchalen Tradition des Christentums um?

Wo ich es theologisch vertreten kann, verändere ich viel, auch die liturgische Sprache. Die Jesusbewegung hat immer den Marginalisierten zur Sichtbarkeit verholfen. Das ist das Ethos, aus dem ich mein Amt führe. Es ist eben sehr wichtig, zu wem man betet. Ob ich mich an die Quelle des Lebens anschließe oder zu einem Patriarchen aufschaue, das ist ein riesiger Unterschied. Der betrifft meine Identität als gläubiger Mensch. Deshalb ist auch der Widerstand gegen feministische Lesarten oft so groß: Da werden Menschen in ihrer Identität getroffen, wenn Gott anders angesprochen wird, als sie es sich selbst vorgestellt haben.

Und was verändern Sie genau: Mutterunser statt Vaterunser?

Mit der Mutter und der Göttin habe ich es nicht so vordringlich. Eher mit anderen Bildern: Gott ist Licht, Gott ist Liebe, Gott ist ein Stern in der Nacht. Mir ist es wichtig, die Fülle der Gottheit den Menschen zugänglich zu machen. Ich sage auch „Jüngerinnen und Jünger“.

Viele feministisch orientierte Frauen haben keine Nähe zum Christentum. Sie glauben an nichts oder anderes. Die bekommen Sie auch durch eine feministisch korrekte Bibel nicht zurück, oder?

Viele sind verloren, das stimmt. Aber auch diese Frauen brauchen eine geistliche Kraft, aus der sie leben. Ich möchte mit ihnen in Kontakt treten und deutlich machen, dass die Bibel ein Buch der Befreiung ist, auch für Frauen. Es tut mir leid, dass die Frauen das Christentum nur als Entfremdung und die Bibel als Buch der Unterdrückung wahrnehmen.

Diese Frauen fragen Sie: Was nützt eine gerechtere Sprache der Bibel, wenn die gesamte Religion patriarchal ist?

Das stimmt nicht. Die Bibel hat mit der Bekräftigung der Gottebenbildlichkeit des Menschen sehr viel zu einer positiven Anthropologie beigetragen und hat Menschen ermutigt, für ihre eigene Befreiung einzutreten. Die bisherigen Bibelübersetzungen haben genau dies nicht immer deutlich gemacht. Deshalb gibt es jetzt die Bibel in gerechter Sprache. Ich hoffe, dass auch die säkularen LeserInnen der taz noch einmal gern in diese Übersetzung hineinschauen.