: Die Rettung der Operette
THEATER Der neue Wind am Goetheplatz erfasst sogar ein Genre, das bislang als hoffnungslos konventionell galt: die Operette. Beweis: „Der Vetter aus Dingsda“
War die Ära von Hans-Joachim Frey in sich nicht operettenhaft genug? Das fragten sich viele, als „Der Vetter aus Dingsda“ von Eduard Künneke auf dem Programm der neuen Theaterleitung auftauchte. Dass Künnekes Verwechslungskomödie, 1934, 1953 und 1970 schlagerselig verfilmt, das Potential für künstlerische Spannung besitzt, erwarteten die Wenigsten.
Die Premiere beweist das Gegenteil. Welch gewaltiger Unterschied zur „Csardás-Fürstin“ – der ebenso kostspieligen wie konventionellen Operetten-Produktion unter Frey mit Promi-Regisseur Werner Schneyder: ein Dauerduett von Kostümkitsch und Herrenhumor.
Regisseur Frank Hilbrich, dessen Theatersozialisation im Jugendclub am Goetheplatz begann, geht das gern im Belanglosen belassene Genre Operette grundsätzlich anders an – als Kunstform, die in den frühen 20ern durchaus subversives Potential besaß. Hilbrich und Dirigent Florian Ziemen bemühten sich um eine „historisch informierte Aufführungspraxis“, also um akribisches Quellenstudium und Kontexterforschung. Dabei lauschten sie nicht nur zahllosen Schellackplatten, sondern fanden sogar das Autograph der 1921 uraufgeführten Partitur – und kreierten daraus eine von viel späterem Schwulst befreite „Vetter“-Fassung.
Konsequent hat Ziemen darauf verzichtet, das Stück wie eine Oper zu besetzen. Und damit, wie er sagt, „zur B-Klasse in der selben Liga zu machen“. Um der genuinen Dynamik des Genres eine Chance zu geben, hat er die Hauptrolle des „Ersten Fremden“ mit dem Musical- und Chansonsänger Alen Hodzovic besetzt. Das Ergebnis ist brillant: Darstellerische Finesse verbindet sich mit einer nicht übermäßig voluminösen, aber fein geführten Stimme – eingebettet in ein schauspielerisch durchweg begeisterndes Gesangsensemble.
Zum „Kehraus“, wie Ziemen die Operetten-Verseichtung ab Mitte der 30er nennt, hat Künneke selbst übrigens einiges beigetragen. Während des „Dritten Reichs“ arbeitete er auf Hochtouren. Trotz „jüdischer Versippung“, wegen der Künneke aus der NSDAP flog, erteilte ihm das Propagandaministerium eine Arbeits-Sondergenehmigung. Dem „Vetter aus Dingsda“ tut die in Bremen vorgenommene Befreiung von Nazi- und Nachkriegskitsch ausgesprochen gut. Und das Theater beweist – wie es sich für ein großes Haus in öffentlicher Trägerschaft gehört – wie hervorragend intelligente Unterhaltung ohne überflüssige Opulenz auskommt.
HENNING BLEYL