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Archiv-Artikel

BASTIAN REINHARDT, SPORTCHEF Noch ein Sündenbock

Von ROR
Bastian Reinhardt

■ 35, geboren in Ludwigslust. Neben seiner Spielerkarriere – ab 2003 beim HSV – absolvierte er ein Studium.  Foto: dpa

Krisendiagnosen, wie sie dieser Tage über den Hamburger SV gestellt werden, haben einen Zweck: Sie dienen der Suche nach Schuldigen. Die Fans zum Beispiel rufen als Schuldige die Mannschaft aus – „Wir woll’n euch kämpfen sehn“ – oder den Vorstand: „Hoffmann raus!“ Einige Journalisten sehen Trainer Armin Veh, andere die Spieler, wieder andere den Vorstand als verantwortlich für den Platz im Mittelfeld und schwache Spiele.

Der seit zwei Jahren amtierende Aufsichtsrat Peter Becker wiederum hat vor ein paar Tagen, als es darum ging, sich für die am 9.  Januar 2011 stattfindende Aufsichtsratswahl als Kandidat zu präsentieren, Bastian Reinhardt als Schuldigen ausgemacht.

Reinhardt, 35 Jahre alt, ist seit 24. Mai dieses Jahres Sportchef beim HSV. Für die ziemlich misslungene Suche nach einem Nachfolger ist nicht der verantwortlich, der vom Praktikanten der Medienabteilung zum Sportchef im Vorstandsrang befördert wird – sondern diejenigen, die dilettantisch suchen. Peter Becker zum Beispiel. Ebenfalls nicht verantwortlich ist Reinhardt für die Zusammenstellung einer Mannschaft, in der überalterte Spieler nicht zusammenpassen.

Reinhardt, selbst ehemaliger Innenverteidiger, konnte bislang nicht zeigen, was er als Sportchef kann: Was er vorfand, hatten andere angerichtet. Und so viel immerhin lässt sich sagen: Reinhardt bläht nicht jeden Tag Unsinn in Mikros, er ist nicht populistisch, er ist im Ton moderat, haut niemanden in die Pfanne. Das unterscheidet ihn von vielen anderen im HSV, der mehr von einer zerstrittenen Partei mit eitlen, nur an der eigenen Karriere orientierten Funktionären hat, als von irgendwas anderem.

Reinhardt sei zu jung, zu unerfahren, sagte Peter Becker, 64, und dass er deshalb von vorne herein gegen ihn gewesen sei. Was vor allem zeigt: Alter und Erfahrung sind kein Ausweis für Klugheit. Kritik kommt vom scheidenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Horst Becker: Er bezeichnete des Kollegen Vorwürfe als „wenig hilfreich“. Im Verein wird derweil spekuliert über ein Gespräch, das der Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann mit Günter Netzer geführt hat. Es wurde der Gedanke ventiliert, der 66-jährige Netzer solle Sportchef werden. Tatsächlich hatte Hoffmann versucht, Netzer einen Platz im HSV-Aufsichtsrat schmackhaft zu machen, um dort die sportliche Kompetenz zu erhöhen – Netzer dankte.

Einer von Reinhardts Nachfolgern, Innenverteidiger Heiko Westermann, hat sich nach dem 2:1-Sieg in Gladbach „mal etwas Ruhe“ gewünscht. Es drängt sich der Eindruck auf, dass „Ruhe“ mit der Organisationsform des HSV – ein Aufsichtsrat mit Leuten wie Peter Becker, der von Mitgliedern gewählt wird und den Vorstand kontrollieren soll – nicht einkehrt. ROR