Flirt mit den Maschinen

Eine Skulptur von vier Minuten Länge: Simon Starlings Installation „Wilhelm Noack oHG“ ist eine Hommage an das Handwerk und zugleich eine gekonnte Verflüssigung des Skulpturenbegriffs

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Ein Film von vier Minuten Länge, 35 mm, ist nicht unbedingt ein sehenswertes Objekt. Es ist nur eine bescheidene Filmspule – bis die Bilder projiziert werden. In der Installation „Wilhelm Noack oHG“ von Simon Starling in der Galerie Neugerriemschneider ist das anders. Da wird das Filmband Bestandteil einer aufwändigen Installation: Simon Starling hat in der Berliner Metallwerkstatt Wilhelm Noack ein wendeltreppenähnliches Gerüst herstellen lassen, an dessen Sprossen die Spulen für den Filmtransport angebracht sind. Das Filmband läuft in Schlaufen einmal rund um das Gerüst, in den Projektor hinein und aus ihm heraus. Das ist der erste Flirt mit der Maschine, den Starlings Arbeit eingeht.

Der zweite Flirt liegt in den Filmbildern selbst: Sie sind ebenfalls in der Metallwerkstatt Noack entstanden und zeigen unter anderem Skizzen vom Entwurf ebenjener Loop-Skulptur. Starling hat die Kamera auf die Maschinen der Werkstatt montiert und so bewegen sich die Bilder in einem eigenartigen, von der Arbeit vorgegebenen Takt. Man sieht alte Fotos von Wilhelm Noack selbst und Skizzen an der Pinnwand, die bis in die Bauhaus-Zeit zurückreichen. Arbeiter tauchen keine auf, sodass der Weg durch die Werkstätten fast wie ein geisterhafter Tanz der Maschinen selbst erscheint. Die Tonspur, komponiert aus den Geräuschen der Arbeit, verstärkt diesen Eindruck.

Starlings Film ist zunächst einmal eine Hommage an die Metallbauwerkstatt Wilhelm Noack, ein 1897 in Berlin gegründetes Familienunternehmen, das als Dienstleister der Kunst für seine Edelstahl- und Messingarbeiten bekannt ist. Starlings Perspektive ist allerdings nicht die eines Lokalhistorikers, dem es sicher auch auf die Namen der berühmten Künstler angekommen wäre, die hier ihre Skulpturen fertigen ließen. Der britische Künstler macht vom Angebot der Werkstatt ungewöhnlichen Gebrauch, indem er sie selbst zum Gegenstand seiner Erzählung macht. Damit arbeitet er an einer konzeptuellen Veränderung des Skulpturbegriffs genau dort, wo bisher ein statischer Werkbegriff die Geschäftsgrundlage bildete.

Vor einem Jahr erhielt Simon Starling, der in Berlin auch eines seiner Studios hat, in London den Turner-Preis. Viel von seinem Werk war in Berlin bislang aber nicht zu sehen. Das ist vor allem deshalb schade, weil sich gerade im Vergleich die Lesarten seiner Werke erschließen. Tatsächlich macht in vielen seiner Projekte der Nachvollzug der Herstellung der Werke, der Transformationen des Materials, den Reiz aus. 2005 baute er eine Holzhütte in ein Boot um, mit dem er den Rhein bis zum Museum für Gegenwartskultur in Basel herabfuhr. Die Überführung vom Immobilen ins Mobile, die den Blick auf den Prozess lenkt, steckt auch in seinem Umgang mit der Skulpturenwerkstatt Noack.

Für andere Projekte reiste er mit Fahrrädern, deren Antrieb sich zur Kettensäge umbauen ließ, durch eine Wüste oder campte mit Zelten, die mit einer eigenen Solartechnik ausgestattet waren. Immer generiert der lange und umständliche Weg, etwas zu tun, eine Erzählung, die auf raffiniert verdrehte Art etwas von den Absurditäten der realen Wertschöpfungsketten widerspiegelt. Meistens liegt auch etwas liebevoll Anachronistisches in den Techniken, deren sich Starling bedient – eine Hommage an die unbewusste Ästhetik des Industriezeitalters oder eben an die 35-mm-Filmtechnik, die er statt Video im Kunstkontext einsetzt. Im Sound verschmilzt das Knattern des Projektors mit den Geräuschen der Werkstatt, und überhaupt: „Wilhelm Noack oHG“ ist in Schwarzweiß gefilmt, sodass die Bilder sich beinahe ansehen wie aus der Frühzeit der Werkstatt.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis 13. Januar 2007, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Neugerriemschneider, Linienstr. 155