DIE ACHSE DER COMPILATIONS – DANIEL BAX : Die Balkanisierung des Balkans
Auch der Balkan ist inzwischen Teil der DJ-Kultur geworden. Das hat nicht erst der Frankfurter DJ Shantel mit seinem erfolgreichen Projekt Bucovina Club gezeigt. Schon zuvor hatte der Berliner DJ Soko alias Robert Soko, der ursprünglich aus Bosnien stammt, gemeinsam mit seinem kroatischen Partner Marko seine „Balkan Beats“-Partys ins Leben gerufen, um damit die postjugoslawische Emigrantenszene der Stadt zusammenzuführen und deren Stimmung aufzuheitern.
Doch mit der Zeit wandelte sich der Publikumsgeschmack, und der Sound wechselte vom alternativen Punkrock, Ska und New Wave aus Zagreb und Belgrad zu den regionalen Rhythmen und Klängen der traditionellen Gipsy-Kapellen der Region. In der Tat haben sich die beiden Szenen inzwischen stark vermischt, und die diversen Crossover aus Balkan-Folklore und Dance-Elektronika oder aus Punkrock und Roma-Traditionals bilden heute fast schon so etwas wie ein eigenes Genre. Der Sampler „Balkan Beats 2“ spiegelt diese Entwicklung und ist damit ein Dokument für diese Balkanisierung der Balkan-Musik.
Sie hat zu so herrlichen Hybriden wie der Dancefloor-Hymne „Do u like it“ des Belgrader Produzenten Sevdahbaby geführt, einem Monstertrack aus verzerrten Beats und gefiedelten Samples. Sie hat der Welt aber auch eine neue Welle urbaner Roma-Bands wie Mitsoura aus Budapest, !Deladap aus Wien und Kal aus Belgrad geschenkt, deren nomadisierender Stil sich nirgendwo mehr so recht festmachen lässt. Für die Zukunft ist da noch einiges zu erwarten. Denn zwischen Lagerfeuer, Lounge und digitalem Sample-Feuerwerk ist noch eine Menge Platz.
„Balkan Beats 2“ (Eastblok Music)
Die Klezmer-Guerilleros
Mit der „Russendisko“ ist Yuriy Gurzhy als DJ bekannt geworden: Gemeinsam mit seinem Kollegen Wladimir Kaminer betreibt er diese Partyreihe, und mit ihm hat er auch die gleichnamigen Compilations herausgegeben, die den Sound des russischen Undergrounds vorstellten. Nun hat er sich einer anderen Facette der osteuropäischen Musik zugewandt: dem Klezmer.
Lange Zeit schien es so, als sei Klezmer zu einem Klischee für „jüdische Musik“ erstarrt, und gerade viele israelische Musiker werden bis heute nicht müde, sich davon zu distanzieren. Doch inzwischen gibt es eine Renaissance dieses Genres, wie der Sampler „Shtetl Superstars“ eindrucksvoll belegt.
Denn von den USA bis Russland, von Amsterdam bis Tel Aviv bedienen sich immer mehr Künstler und Bands bei den traditionellen Klängen der ostjüdischen Diaspora, um sie wahlweise mit Hiphop-Beats, Dance-Elektronik oder Surfgitarren aufzumischen.
Diese Klezmer-Guerilleros nennen sich Boom Pam, Astroglides oder Boogie Balagan, und ihre Stücke heißen wahlweise „The Souvlak“, „Adventures of Rabi Jacob“ oder „No Baguettes in the Ghetto“. Oder, wie im Fall der Hiphop Hoodios, zweier jüdischer Latino-Jungs aus New York, auch „Havana Nagila“. Yuriy Gurzhy und sein Mitherausgeber Lemez Lovas sprechen bereits von einer regelrechten „Bewegung“, und wenn das so ist, dann sind sie schon ein Teil davon. So sind beide selbst auf dem Sampler vertreten, Gurzhy mit einem Song, Lovas sogar mit zweien: Einmal solo und einmal mit seiner ehemaligen Kapelle, der britischen Elektro-Klezmerband Oi Va Voi.
„Shtetl Superstars“ (Trikont)
Die elektronischen Derwische
Islam und westliche Popkultur sind, glaubt man den Fundis hüben wie drüben, zwei unversöhnliche Antipoden. In Wirklichkeit ist die gegenseitige Durchdringung weit fortgeschritten. Zwar lehnt die muslimische Orthodoxie jede Art von Unterhaltungsmusik ab. Doch es gibt auch eine lange Tradition der islamischen Mystik, des Sufismus, die je nach Region eine andere Färbung angenommen hat.
Wer schon einmal die Zeremonien der kreisenden Derwische in der Türkei und in Syrien, die Trancerituale der Gnawa-Bruderschaften in Marokko oder die ekstatischen Qawalli-Sänger vor Pakistans Heiligenschreinen erleben konnte, der weiß, dass es sich dabei um mehr als bloße Folklore handelt. So unterschiedliche Künstler wie Nusrat Fateh Ali Kahn aus Pakistan, Kudsi Ergüner aus der Türkei oder Cheikh Lo aus dem Senegal haben ihre religiösen Musikstile bereits auf die Konzertbühnen der Welt gebracht. Aber auch eher säkulare Musiker wie der ägyptische Songwriter Mohammed Mounir, der türkisch-kanadische Techno-DJ Mercan Dede oder die in New York lebende persische Avantgardesängerin Susan Deyhim haben die Musiksprache der Sufis in letzter Zeit für sich entdeckt und verwendet.
Einige der interessantesten Crossover auf diesem Gebiet hat Gülbahar Kültür, die bei Radio Bremen eine eigene Sendung bestreitet, auf ihrer jüngsten Compilation versammelt. Anders, als es das exotisierende Cover vermuten lässt, handelt es sich dabei nicht um die islamische Variante von klingendem Esoterikkitsch. Sondern um ein Beispiel für die real existierende Vielfalt west-östlicher Synthesen.
„Sufi’s Secret“ (Lola’s World)