: Ballung im Nahost-Bereich
ARCHIV Kuratorendeutsch, kaum eigene Ästhetik: Das Berlin Documentary Forum 3 im Haus der Kulturen der Welt
VON SILVIA HALLENSLEBEN
Es ist dunkel. So dunkel, dass man in den ersten von Blindheit geschlagenen Minuten schnell über die Stühle stolpern kann, die freundlicherweise zur bequemeren Rezeption in den kleinen Kammern herumstehen. Sieben solche durch einen Gang miteinander verknüpfte Dark Rooms sind für Smadar Dreyfus’ Installation „School“ seit Donnerstag im Untergeschoss des Hauses der Kulturen der Welt aufgebaut, um Besucher durch die Klassenzimmer israelischer Sekundarschulen zu lotsen. In jedem der jeweils einem Unterrichtsfach gewidmeten Räume läuft ein Band, das im Audio eine knappe halbe Stunde Unterrichtsgeschehen mithören lässt. Im Screen sind die englische Übersetzung der von Lehrern und Schülern gesprochenen Sätze als Choreografie unterschiedlich großer auf der Leinwand platzierter Worte zu sehen.
Dabei hat die israelische Künstlerin Smadar Dreyfus ursprünglich 68 zufällig ausgewählte Unterrichtsstunden aufgezeichnet, von denen dann sieben für die Installation bearbeitet wurden.
Das Ergebnis befragt pädagogisch-ideologische Strategien (und die Kritik der Schüler daran) ebenso wie die künstlerische Praxis selbst. Beispielhaft eine Lerneinheit im Fach Geschichte zum Thema Aufklärung, in der das vom Lehrer ins Heft diktierte (!) Postulat zum selbständigen Denken nach einem kurzen Schlenker durch Französische Revolution und Romantik in einer geballten Attacke der Begriffe Heimatliebe und Familie auf Ohr und Augen mündet. Ein Originaldokument. Und eine dieses Vorgefundene strukturierende Interpretation durch grafische Darstellung, wie sie im Film sonst meist eher nebenbei durch Kameraeinstellung oder Montage geschieht.
Dritter Durchlauf
„School“ (2009–2011) ist – wie auch eine Installation von Harun Farocki zu Videospielen – Teil des diesjährigen Berlin Documentary Forum, das vier Tage lang die Innenräume des Hauses der Kulturen der Welt mit Vorträgen, Filmvorführungen, Performances und einem Live-Hörstück bespielt.
Es ist der dritte Durchlauf des im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfindenden 2008 von Hila Peleg initiierten Mini-Festivals, das seit Beginn mit dem Impetus auftritt, das Dokumentarische quer zu gängigen kinematografischen Einordnungen zu debattieren, und sich dabei interdisziplinär zwischen den Genres und Formaten platziert. Ein angemessener Anspruch in Zeiten, wo Film, Bildende Kunst und Medien zusammenwachsen und realweltliche Praktiken die Künste sowie die Künste die reale Welt eingreifend unterwandern.
Dabei ist es (jedenfalls bei denen, die bei Dokumentarfilm nicht an Arte-Reisereportagen denken) eine Binsenweisheit, dass die Grenzen zwischen dem Dokumentarischen und dem Fiktiven in der Praxis fließend und beidseitig offen sind, da (siehe „School“) das scheinbare Dokument ebenso immer konstruiert ist, wie das Artefakt im Realen gründet.
So kann es überzeugen, wenn Hila Peleg für diesen Durchgang des Documentary Forum programmatisch die Narration als „Ort des Konflikts“ zum Leitmotiv nimmt und (eigentlich selbstverständlich) das Erzählen von Geschichten nicht als Widerspiegelung der Realität verstehen will, sondern als Möglichkeit, die Wirklichkeit zu formen.
Nur eingelöst wird dieser Anspruch kaum. Denn nach den ersten Tagen des Forums fällt dieses Jahr (neben einer wohl der israelischen Herkunft von Peleg geschuldeten regionalen Ballung im Nahostbereich) vor allem die Diskrepanz zwischen den in vollmundigem Kuratorendeutsch verfassten Ankündigungen im Katalog und deren Einlösung in den konkreten Veranstaltungen auf, die allzu oft auf jede ästhetische Intervention verzichten und ihre filmischen oder fotografischen Archivalien in Power-Point-Manier präsentieren.
Besonders bizarr wird solch ein fehlendes Formbewusstsein bei einer Lecture zum mexikanischen Narco-Kapitalismus und den Frauenmorden von Ciudad Juárez, wo drei Herren gesetzteren Alters eher Bekanntes über den Machismo dozieren, während zwischen ihnen ein Mädel auf dem Laptop Filmeinspieler anklicken darf.
Eine solche Fixierung auf die Präsentation politischer Inhalte und der fehlende Diskurs zwischen den so vereinzelt herumstehenden Programmpunkten scheint prägender Eindruck des diesjährigen Forums. So wird das Dokumentarische ganz naiv – und wenig erhellend – wieder einmal auf den bloßen Realitätsverweis reduziert. Vielleicht deswegen waren das Schönste bisher drei von Catherine David präsentierte ebenso versponnene wie wirklichkeitssatte Spielfilme aus dem vorrevolutionären Iran der siebziger Jahre von dem nach Paris exilierten Parviz Kimiavi. Dokumentarisch? Na und!
■ „School“ ist im Haus der Kulturen der Welt noch bis zum 14. Juli zu sehen