piwik no script img

Archiv-Artikel

Klage gegen Folter

Die „Kampagne gegen Brechmitteleinsätze“ hat bei der Generalbundesanwältin Strafanzeige gegen alle Personen erstattet, die an Brechmitteleinsätzen der vergangenen fünf Jahre beteiligt waren

Von Elke Spanner

Es ist Folter, Menschen gegen ihren Willen Brechsaft einzuflößen. Das hat der europäische Ge richtshof für Menschenrechte im Juli entschieden. Der Hamburger Senat konnte das nicht ignorieren: Anfang August hat er die Praxis gestoppt, mutmaßlichen Drogendealern zum Erbrechen verschluckter Kokainkügelchen notfalls mit einer Sonde „mexikanischen Sirup“ in den Magen zu pumpen.

Doch bis er das tat, mussten über 500 Männer – fast ausnahmslos Schwarzafrikaner – Brechsaft trinken, ein geschätztes Drittel von ihnen unter Einsatz körperlicher Gewalt. Die „Kampagne gegen Brechmitteleinsätze“ hat nun bei der Generalbundesanwältin Strafanzeige gegen alle Personen erstattet, die daran beteiligt waren: Polizisten, Ärzte, Staatsanwälte und sämtliche Senatoren der vergangenen fünf Jahre im Justiz- und Innenressort.

Namentlich erwähnt sind in der Anzeige die (Ex)- Senatoren Olaf Scholz, Ronald Schill, Udo Nagel, Lore Maria Peschel-Gutzeit, Roger Kusch und Carsten Lüdemann. Zudem richtet sich der Vorwurf der Körperverletzung und Nötigung gegen Klaus Püschel, Leiter des Institutes für Rechtsmedizin am UKE, sowie die Ärztin Ute Lockemann, unter deren Hand im Dezember 2001 der Kameruner Achidi John beim Brechmitteleinsatz starb.

Niemand von ihnen könne sich darauf herausreden, er habe von der Gefährlichkeit und rechtsstaatlichen Fragwürdigkeit dieser Methode nicht gewusst, sagt der Rechtsanwalt Martin Klingner. Schließlich seien Brechmitteleinsätze seit Anfang der neunziger Jahren heftig umstritten. Noch wenige Monate vor ihrer Einführung im Wahlkampf 2001 hätten die gleichen Personen sie wegen Unverhältnismäßigkeit verweigert. Die Staatsanwaltschaft habe zuvor argumentiert, dass die Schwere des Eingriffs angesichts der zu erwartenden Bagatellfunde außer Verhältnis stehe.

Die damalige Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit habe ins Feld geführt, dass ein Dealer schon durch die Aussage eines Polizeibeamten, er habe Schluckbewegungen gesehen, überführt werden könnte. Als jedoch die Bürgerschaftswahl nahte und der damalige rot-grüne Senat den erstarkenden Ronald Schill fürchtete, wurden diese Einwände plötzlich in den Wind geschlagen. Im Dezember dann kam Achidi John ums Leben. Jetzt besannen sich etliche Politiker auf ihre ursprünglichen Bedenken. Doch inzwischen war Schwarz-Schill an der Macht, und der rechte Senat hielt den Kurs bei.

„Alle Beteiligten haben sich der Verletzung der Menschenrechte schuldig gemacht“, sagt Pastor Christian Arndt. „Das begangene Unrecht muss politisch und juristisch aufgearbeitet werden“. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes betreffe nicht nur den dort verhandelten Einzelfall, sagt Anwalt Klingner. Der Gerichtshof habe „eine Auslegung der Menschenrechtskonvention vorgenommen“. An die ist auch die Bundesrepublik gebunden.

Für den Internisten Bernd Kalwelage ist ein Skandal im Skandal, dass Ärzte sich an dem gewaltsamen Einsatz beteiligten. Einem Patienten die Magensonde gegen seinen Widerstand zu setzen, sei lebensgefährlich. „Im Rachen-Schlundbereich gibt es gefährliche Reflexe“. Für ihn steht außer Frage, dass Achidi John damals „selbstverständlich beim Einführen der Sonde an diesen Reflexen gestorben ist“.

Zwar hatte das Berliner Rechtsmedizinische Institut in seinem Obduktionsbericht geschrieben, John habe einen unerkennbaren Herzfehler gehabt. Für Kalwelage aber ist das ein „Gefälligkeitsgutachten erster Güte“. Sein Beleg: Das angeblich so kranke Herz sei nach seinem Zusammenbruch leicht zu reanimieren gewesen.

Gestorben ist John nicht an Herztod, sondern daran, dass sein Gehirn infolge verspäteter Reanimation zu lange mit Sauerstoff unversorgt war. Klaus Püschel, der die Brechmitteleinsätze bis heute verteidigt, sei in der Ärzteschaft inzwischen recht isoliert. Aus einem Ethik-Seminar an der Hamburger Universität, das Püschel selbst mit initiiert hatte, sei er längst rausgeflogen. Pastor Arndt mahnt: „Ärzte müssten ihre Lehre aus dem Nationalsozialismus gezogen haben, nie wieder als Handlanger des Staates tätig zu werden.“