: Intelligent geplaudert
ZUSAMMENSTELLUNG Über Frauenleben und das Zähneputzen in der Literatur: Ruth Klügers Buchbesprechungen liegen jetzt in einem Band vor
Frauen schreiben nicht anders. „Mit männlich und weiblich ist hier nichts anzufangen“, hält Ruth Klüger in ihrem Vorwort zu „Was Frauen schreiben“ fest, um hinzuzusetzen, eine Zusammenstellung von Besprechungen von Büchern aus weiblicher Feder halte sie dennoch für angezeigt, da Autorinnen generell eher unterschätzt würden. Die meisten der in diesem Band vereinten Texte sind als Beiträge einer Kolumne in der Welt erschienen, für die Klüger monatlich schreibt. Die Erscheinungstermine reichen eineinhalb Jahrzehnte zurück.
Wenn auch in Bezug auf die Schreibweisen nichts mit Geschlechterkategorien anzufangen sein mag, so bezieht sich Klüger doch inhaltlich stark auf Gender-Aspekte bei den besprochenen Werken. Das Primat dieser Besprechungen liegt deutlich auf dem Thematischen. Ästhetische Bewertung oder Analyse spielt eine sehr untergeordnete Rolle; die Texte haben beschreibenden oder auch empfehlenden Charakter, mit Literaturkritik hat die Sammlung nur am Rande zu tun. Das mag an den inhaltlichen Vorgaben liegen, die Klüger von der Redaktion hatte. Doch gilt es bei der Lektüre zunächst, eine offensichtlich unangemessene Erwartungshaltung an diese Textsammlung zu korrigieren. Wer hartnäckig Analyse erwartet, wird enttäuscht bleiben. Man muss sich darauf einlassen können, sich intelligent geplaudert die Handlung von Büchern nacherzählen zu lassen. Und unbestritten ist Klüger eine hervorragende Erzählerin.
Wenn sie auf mehreren Seiten engagiert vom Leben der Paula Modersohn-Becker berichtet, könnte man darüber fast vergessen, dass der Text eigentlich aus Anlass einer Biografie entstand, die Barbara Beuys über die Malerin geschrieben hat. Über die Qualitäten des Buches erfährt man leider nichts, schade. Noch etwas befremdlicher wird das Missverhältnis, wenn man bei Klügers Besprechung von Slavenka Drakulics Frida-Kahlo-Roman drei Seiten über Kahlos Leben zu lesen bekommt, um am Schluss über den Roman nur zu erfahren, dass es sich um ein „bedrückendes Buch“ handele, das für „langes Nachdenken“ sorge.
Schwamm drüber. Interessant ist die Zusammenstellung von Autorinnen aus aller Welt dennoch. Als amerikanische Germanistin hat Ruth Klüger dabei Schwerpunkte auf deutsch oder englisch schreibende Autorinnen gelegt. Nadine Gordimer, Iris Murdoch und Elizabeth Bowen stehen neben Erika Mann, Doris Dörrie und Herta Müller. Letztere taucht zweimal auf, unter anderem mit einer inspirierten Besprechung von „Die blassen Herren mit den Mokkatassen“, einem liebevoll ausgestatteten Lyrikband. Daneben Autorinnen aus Frankreich, Israel, Italien, Ungarn und anderswo. Als Lesetipp bleibt, außer Herta Müllers Lyrik, Hiromi Kawakamis „Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß“ haften, ein Roman, den Klüger so verheißungsvoll wie prägnant zusammenzufassen weiß: „Die Handlung ist fast ausschließlich auf Liebe und Essen beschränkt und ist doch weit entfernt von Völlerei und Wollust.“
Ein einziger Mann hat es mit einem feministischen Roman in diese Sammlung von Besprechungen gebracht: der vielseitige Schwede Henning Mankell, dessen Frühwerk „Daisy Sisters“, das von Frauenschicksalen in Zeiten des Krieges handelt, erst 2008 auf Deutsch herauskam. Dass Mankell Aufnahme fand, hängt möglicherweise auch mit einer Vorliebe der Autorin für das Spannungsgenre zusammen. Die Krimiautorinnen Sara Paretsky, Batya Gur und Barbara Vine alias Ruth Rendell erfahren die Ehre einer empfehlenden Besprechung, wenngleich zumindest Batya Gur für die Darstellung des zentralen Lasters ihres Kommissars sehr gerügt wird. „Könnte er nur aufhören, Kette zu rauchen!“, ruft die gesundheitsbewusste Rezensentin aus, die Erziehungsaufgabe der Literatur anmahnend, wenn sie fortfährt „Damit setzt er ein schlechtes Beispiel für junge Leute.“
Auch Joanne K. Rowlings „Harry Potter“-Bücher, die Klüger gemeinsam mit ihren Enkeln zu verschlingen pflegte, haben in ihren Augen doch ein einziges Manko: die fehlende Darstellung körperlicher Hygiene. Denn die besorgte Großmutter hat die Beobachtung gemacht, dass „kein Kind auf tausenden Seiten sich je vor dem Schlafengehen Zähne putzt“. Unter diesem Aspekt kann man Literatur natürlich auch betrachten. KATHARINA GRANZIN
■ Ruth Klüger: „Was Frauen schreiben“. Zsolnay Verlag, Wien 2010, 261 Seiten, 19,90 Euro