: Der Weg zum Wesen des Leids
AUFARBEITUNG Rolf Zimmermann stellt seinen Zyklus „In Polen 1942“ in der Arbeitnehmerkammer aus. Durch die Bilder will er sich selber therapieren
Die Veranstaltungsreihe zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar“ findet in der Arbeitnehmerkammer Bremen, Bürgerstraße 1 statt. Der Eintritt ist frei.
■ Die Ausstellung „In Polen 1942“ von Rolf Zimmermann ist bis 11. März zu sehen. Weitere Termine:
■ Dienstag, 18. Januar, 19.00 Uhr: „Fremde im Visier“
■ Dienstag, 25. Januar, 19.00 Uhr: „Auch die Infanterie kommt gut voran“
■ Dienstag, 8. Februar, 19.00 Uhr: „Lange Schatten. Familiengeschichte und NS-Vergangenheit“
■ Um telefonische Anmeldung unter ☎ 36 30 19 87 wird gebeten.
VON ELENA VON OHLEN
Als der zehnjährige Rolf Zimmermann Ende der Fünfziger Jahre Fotos seines Onkels aus dem zweiten Weltkrieg findet, weiß er nicht, wofür sie stehen. Obwohl sie keine Gewalt zeigen, empfindet er sie als bedrohlich. Sie werden seine Obsession. Mit der Zeit kommt auch das Wissen um die historischen Zusammenhänge: Sein Onkel Franz war 1941 bis 1943 bei der schwarzen SS an der Ostfront stationiert. Die Fotos stammen aus dem Jahr 1942, aus Polen. Das Mädchen auf dem Gruppenbild lächelt in die Kamera. Sie ist umringt von lachenden Männern in Uniform.
Dass das jüdische Kind vermutlich ein paar Minuten nach Entstehung des Fotos getötet wurde, wird Zimmermann klar, als er die Fotos Zeugen der NS-Zeit zeigt. Die Mutmaßung eines ehemaligen Wehrmachtsoldaten bezüglich eines anderen Fotos schockt ihn: „Auf diesem Foto, auf dem rechts ein Mann mit einer Axt abgebildet ist … dieser Mann mit der Axt geht in die Scheune und schlägt einen Juden tot.“ Dieser Mann war Onkel Franz.
Damit beginnt für Zimmermann das Ringen um die Befreiung von der von ihm empfundenen passiven Schuld. Als Kind der Tätergeneration unterwirft er sich einem selbst installierten Schuldregime, dessen Machthaber das Schweigen der Täter ist. „Wie viele andere meines Alters, litt ich unendlich unter der engen Verwandtschaft mit einem Kriegsverbrecher. Die Vorstellung machte mich krank.“
Er wird depressiv und macht die Fotos seines Onkels, die ihn nicht loslassen, dafür mitverantwortlich.
Im Jahr 1989 beginnt er mit der künstlerischen Reproduktion dieser – er wollte sich, so Zimmermann, „selbst therapieren“.
Sein zehnteiliger Zyklus aus Zeichnungen und Ölgemälden, der nun in der Arbeitnehmerkammer ausgestellt sind, ist unbeschönigtes Relikt eines der größten Menschheitsverbrechen, denen die Zweideutigkeit der Fotos mittels einfacher Verfremdungseffekte genommen wurde: Die Gesichter der SS-Männer sind totenkopfartige Fratzen, ihre Körper lang und hager wie der Tod persönlich. Die Gesichter der Opfer sind mit Löchern übersät, Zeugnis geraubter Menschenwürde und verlorener Identität. Getaucht in ein kaltes, dämmriges Grün, stellen die Leinwände eine fremde Wirklichkeit her, die auf den Fotos zu spüren, aber nicht zu sehen war. Die Bilder lassen keine Fragen offen. Ihre Direktheit erschlägt den Betrachter. Die Perspektive des Täters, der einst das zur Vorlage dienende Foto schoss, scheint immer noch durch, der Sadismus des knipsenden Nazis. Gemischt mit der spürbaren Trauer des Künstlers entsteht so beim Betrachten ein merkwürdiges Gefühlskonglomerat, das den Kopf schwirren lässt. Prof. Dr. Peter Chametzky, Kunsthistoriker, Direktor der School of Art and Design der Southern Illinois University Carbondale und langjähriger Freund Zimmermanns, erläutert den Unterschied zwischen den Fotos und den Gemälden: „Die Bilder haben zur Klärung des Inhalts der Fotos beigetragen. Die Einteilung in Täter und Opfer ist strikt. Die Abwesenheit von sichtbarer Gewalt macht sie umso grausamer.“
Gerade für die „Enkelgeneration“ dürfte die Auseinandersetzung mit den Bildern interessant sein. Weder Zeugin der NS-Zeit noch Zeugin der darauf folgenden Zeit des Schweigens, ist sie nur indirekt betroffen und kann mit Abstand an die Bilder herantreten. Der Impuls des Künstlers erschöpft nicht die Bedeutung seiner Kunst: Obwohl die Bedeutung fest an den Ursprung gekoppelt ist, ist sie dehnbar, kann als Stellvertreterin für andere Kriegsgeschehen, Menschenrechtsverstöße und Leid stehen und verleiht Zimmermanns Werken so eine Aktualität jenseits der Vergangenheitsbewältigung. Bedrohliche Mahnmale, „Bilder des Wahnsinns und des Schmerzes“, so bezeichnet der Künstler die Werke. Ob er seinen eigenen durch die Konfrontation lindern konnte? „Ich weiß es nicht. Manchmal denke ich, ich habe mehr Abstand gewonnen. Und dann wieder denke ich: Es sitzt zu tief. Es kann niemals vergehen.“