: Bisschen Gott geht nicht
Heute wird im HAU 3 Anja Gronaus „Nach D. – Erlebnis Religion“ uraufgeführt: Fünf Schauspieler pilgern auf den Spuren eines Gottverlorenen von August Strindberg
Im Dunkeln beginnt die Schöpfungsgeschichte. Keinen Satz möchte man verpassen, wenn die Schauspielerin Claudia Wiedemer von einem Gott erzählt, der am Anfang von allem schon weiß, dass diese Menschen sich zugrunde richten werden. Er amüsiert sich darüber wie ein kaltherziger Zyniker. Der Teufel ist dagegen ein armes Schwein, der mit den Menschen leidet. Sein Pech nur, dass sie ihm nicht glauben.
Diese Fabel bildet den Prolog des Stücks „Nach D. – Erlebnis Religion“, das heute im HAU 3 herausgebracht wird, koproduziert vom Schauspiel Frankfurt und dem LOT-Theater aus Braunschweig. Die Regisseurin Anja Gronau und ihr Team haben „Nach D. …“ rund um August Strindbergs selten gespieltes Stationendrama „Nach Damaskus“, angelegt. Auch der Prolog stammt von Strindberg, aus einer Zeit, als er dem Glauben und der Suche nach sicheren Wahrheiten voller Skepsis gegenüberstand. Dieser Position der Aufklärung, die später noch mit einem Feuerwerk an Zitaten von Kant, Marx, Feuerbach und Voltaire unterfüttert wird, war sich der Autor aber nie ganz sicher. In „Nach Damaskus“ kämpft er sich an der Frage ab, wie ein Leben ohne Gott auszuhalten ist.
Warum wählt man ein solches Stück? Für Anja Gronau war die Wiederkehr der tot geglaubten Religionen ausschlaggebend, mit all ihren exotischen Blüten: Sektierertum, Madonna, die zur Kabbalistin wird, Bekenntnisse als Pop und Bekehrungen als öffentliche Inszenierung. In einem kurzen Moment der Inszenierung wird das „Erlebnis Religion“ sichtbar: Mit Ausrufen wie „Auch ich war auf dem Jakobsweg“ kokettieren da plötzlich zwei der fünf Schauspieler auf der Bühne mit metaphysischen Erfahrungen. Jetzt geht es los, denkt man da, jetzt wird Religiosität als eine neue Marke in der Angebotspalette der Distinktionsgewinne vorgeführt. Aber nach wenigen Sätzen wird diese Szene verlassen.
Denn von dieser Ebene, so benennt es Christine Elbel, die Dramaturgin, stößt sich das Stück nur ab. Im Verlauf der Arbeit habe sie alle viel mehr Strindbergs Kreisen um die Leerstelle, die die vernunftmäßige Überwindung Gottes hinterlassen habe, in ihren Bann gezogen. Das schien entscheidend, um der Bedürftigkeit nach Religion heute auf die Spur zu kommen. Und sie stellten sich selbst Fragen: Zum Beispiel, kann man im Namen der Freiheit jedem seinen Glauben lassen? Kann man sich von Gott nur das Gute raussuchen und den Gott, der straft und der Unterwerfung fordert, davon trennen? Ein bisschen Gott, das geht doch nicht. Das sei so ein Punkt, erzählt Elbel am Rande einer der letzten Proben, auf den Strindbergs Text immer wieder zuläuft und seine Figur des Suchenden daran zerschellen lässt.
Auf der Bühne liegen Styropor-Module, die erst zu wüsten Felslandschaften und später zu einer Mauer umgebaut werden: Chiffren für die Einsamkeit, in der sich der Suchende verliert. Der Umbau des Bühnenbildes ist eine der wenigen Aktionen, die den Schauspielern bleiben, ihre himmelstürmenden Gedankengebäude zu untermauern. Sie streiten auch mit sakraler Musik, mit Schallplatten von Bach und Mozart, um das Bedürfnis, den Mensch mit mehr als mit Biomasse erklären zu können. Und die Momente, wenn sie die Geschwindigkeit der Plattenspieler manipulieren und aus den alten Messen ein leises, unheilvolles Sausen wird, gehören zu den spielerischsten des Abends.
Oft aber dominieren die Textmassen und der Versuch, Strindbergs monumentale Sprachgesten in glaubhafte Figuren zu übersetzen, das Spiel. Wie steigt man dahinter, was diesen Autor umgetrieben hat? Das verschiebt den Blick auf einen anderen Schauplatz, auf die vielen Lebens- und Liebesenttäuschungen, die Strindberg in diesem Drama auch noch bearbeitet hat.
So gleicht die Inszenierung einer Bergbesteigung: Man ist ganz gewiss, von oben endlich einen besseren und klareren Blick auf die Probleme der Gegenwart haben zu können. Käme man nur endlich oben an.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Heute Premiere im HAU 3, wieder am 7./9./12./13./14. Januar, 20 Uhr