: „Für Dutschke brauch ich keinen Pulli“
Wer heute beim Dutschke-Slam der taz auf die Bühne will, braucht etwas Mut – er muss aber kein brillanter Redner sein, sagt Jakob Wurster von der Improtheatertruppe „Theatersport“. Wurster lässt sich bei seinen Auftritten vom Publikum inspirieren
Interview Nina Apin
taz: Herr Wurster, wie bereiten Sie sich auf Ihren Rudi-Dutschke-Auftritt heute vor – haben Sie schon einen geringelten Wollpulli gekauft?
Jakob Wurster: Für einen normalen Schauspieler wäre so ein Pulli bestimmt ein hübsches Requisit. Aber für Impro braucht man das nicht. Mein Mitspieler und ich kommen unvorbereitet auf die Bühne und lassen uns von den Wünschen des Publikums inspirieren. Dann legen wir los: Einer macht die Arme, einer die Stimme. Mehr steht noch nicht fest.
Das Publikum kann sich von Ihnen so komplizierte Sachen wünschen wie einen Film Noir oder eine Dutschke-Operette. Wie funktioniert das?
Improvisationstheater ist nicht einfach Theater ohne Proben, es ist eine Technik. Wir haben gelernt, Szenen aus dem Nichts zu spielen. Dazu kommt die Erfahrung: Nach 11 Jahren auf der Bühne kann ich mich mit meinen Mitspielern spontan verständigen. Einer macht eine Geste, der Nächste nimmt sie auf, das ist alles eingespielt. Obwohl die Herausforderung jedes Mal neu ist. Schließlich weiß man im Voraus nie, was das Publikum wünscht.
Besteht der „Theatersport“ darin, nicht an der Herausforderung zu scheitern?
Der Sport – und der Spaß des Publikums – ist die permanente Überforderung der Schauspieler. Wir versuchen, auch Unmögliches darzustellen. Natürlich scheitern wir auch. Dann versuchen wir, das Scheitern so zu thematisieren, dass es unterhaltsam ist. Verloren haben wir erst, wenn im Saal betretenes Schweigen herrscht.
Was raten Sie als Bühnenprofi den Teilnehmern des Dutschke-Slams, damit es nicht peinlich wird?
Um auf der Bühne zu überzeugen, braucht man vor allem Mut. Entertainer-Qualitäten helfen auch. Aber man muss nicht unbedingt ein brillanter Redner oder Selbstdarsteller sein. Manche Menschen wirken durch ihre ganz eigene Unmittelbarkeit am stärksten. Die kann man gar nicht trainieren.
Dann sage ich jetzt einfach mal: Machen Sie mir den Dutschke.
Nein, so geht das nicht.
Wieso: Sie können mir die typische Dutschke-Handbewegung doch einfach am Telefon beschreiben.
Das Telefon ist nicht das Problem. „Den Dutschke machen“ heißt für mich nicht, Gesten zu zeigen oder einen Pulli zu tragen. Auch nicht, einen dieser komplizierten intellektuellen Sätze zu imitieren, mit denen Rudi Dutschke sein Publikum damals mitreißen konnte. Um Dutschke darzustellen, würde ich Sie lieber fragen: „Welches Tier könnte Dutschke gewesen sein?“
Äh. Keine Ahnung.
Na ja, das ist eben der Unterschied zur Bühne. Aus dem Publikum kommt immer was. Etwa „Dachs“ oder „Luchs“. Ich würde mir das Tier aussuchen, zu dem mir eine gute Idee kommt. Und daraus mit meinem Mitspieler eine Szene bauen, die durch weitere Zurufe Dynamik gewinnt. Dann wird aus dem Dachs auf einmal eine Dutschke-Operette. Oder sonst was. Hauptsache, es funktioniert.
Das klingt jetzt aber beliebig. Ist Improtheater bloß Stegreifklamauk?
Nein, Situationskomik. Aber die kann auch in ernste Szenen münden. Neulich verlangten die Zuschauer „Hartz IV-Verschärfung“ und „Oratorium“. Ein Arbeitsloser trat zu Musik auf die Bühne und erzählte, warum er aus seiner zu großen Wohnung muss. Vor zehn Jahren hätten das alle noch komisch gefunden, doch im Saal war es sehr still. Da merkten wir, dass wir die Leute berührt haben.