: Die Schwermut der Phantome
FILMFEST ROTTERDAM Zwei Gespenster auf der Reise nach Santiago de Compostela und erotische Engel: Das katalanische Kino wurde auf dem 40. Filmfest Rotterdam gewürdigt
VON DOMINIK KAMALZADEH
Die Cinemateque von Montevideo hat schon bessere Tage gesehen. Die Projektoren sind so veraltet, dass gewisse Filme nicht mehr im richtigen Format vorgeführt werden können. Einige der speckigen Kinositze sind eingerissen. Auch die Mitgliederzahlen gehen Monat für Monat zurück. Kurzum, es fehlt an allen Ecken und Enden an Geld. Nun friert ein Hauptfinanzier auch noch seine Förderung ein – für die Institution ist dies wohl der Todesstoß.
Obwohl der Film „La vida util“ („A Useful Life“) vom Verschwinden einer Kinokultur erzählt, war er einer der erhebendsten Filme der 40. Jubiläumsausgabe des Filmfestivals von Rotterdam. In grobkörnigem Schwarzweiß gedreht, ist der zweite Spielfilm des uruguayischen Regisseurs Federico Veiroj weniger Ode an Vergangenes als emphatische Würdigung einer Haltung, die auch in Zukunft gilt.
Schon im Filmtitel versteckt sich eine Redensart: Nicht das nützliche, „ein geglücktes Leben“ ist gemeint. Manuel Martínez Carrilo, der Cinematheque-Direktor, spielt sich selbst, den Mann an seiner Seite, seit 25 Jahren die Seele des Hauses, verkörpert der Filmkritiker Jorge Jellinek. Federico Veiroj setzt auf Authentizität und Künstlichkeit, indem er den Quasidokumentarismus seiner Figuren mit klassischer Filmmusik unterlegt. Die bewegende Stimmung des Films verdankt sich solcher Großzügigkeit: So ungelenk Jorge in seinem altmodischen Anzug wirkt, so chancenlos sein heiliger Ernst erscheint, als Apologet des Kinos wird er mit einer großen Geste belohnt: Er entdeckt das Leben als besseren Film.
Das Kino feierte sich in Rotterdam in diesem Jahr selbst, erweitert um 40 neue Schauplätze in der Stadt. Der Eindruck eines jungen, experimentierfreudigen Umfelds, für welches das Festival schon immer stand, wurde dadurch noch gestärkt. Die Filme kommunizierten auf ihre eigene Weise: Während sich in „La vida util“ eine neue Generation zur Cinephilie bekennt, präsentiert sich „Finisterrrae“ von Sergio Caballero als High-Concept-Kunstfilm-Parodie. Das mit einem Tiger prämierte Filmdebüt begleitet zwei Gespenster – Leintuch mit aufgeklebten Augen! – auf ihrer Reise nach Santiago de Compostela. Sie hoffen, dort in eine neue irdische Lebensform hinüberwechseln zu können.
Das ist mindestens so dämlich, wie es sich anhört, aber auch ziemlich komisch. Hinter der Kamera stand Eduard Grau, verantwortlich für so unterschiedliche Filme wie „A Single Man“ oder „Honor de Cavalleria“. Den Stationen der in lang gedehntem Russisch sprechenden Geister verleiht er vor gemalten Kulissen und surrealen Landschaften eine elegische Note. Zu den Höhepunkten dieses Anything-goes-Werks, das seine Außenseiterrolle etwas zu smart pflegt, gehört eine Szene mit sprechenden Rentieren und eine mit einem Astloch, durch das Videokunst der 1980er Jahren zu bestaunen ist.
Agustí Villaronga, einem weiteren katalanischen Filmemacher, wurde mit eine Tribute besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die Schauspielerin Marisa Paredes, bekannt aus Almodóvar-Filmen, bezeichnete ihn gar als den talentiertesten spanischen Regisseur der Gegenwart. Sein 1987 entstandenes Debüt „Tras el cristal“ („In a Glass Cage“), in dem ein Mann in einer eisernen Lunge bewegungslos dahinvegetiert – Paredes spielt seine Frau –, gilt als „Film maudit“, tatsächlich hat er nichts von seiner verstörenden Kraft eingebüßt. Unerschrocken zwischen Horrorfilm und Psychodrama changierend, zeigt er Kontinuitäten des Nationalsozialismus auf: Der Mann (Günter Meisner) hat sich in Konzentrationslagern auf grausame Weise an mehreren Jungen vergangen. Einer von ihnen kehrt nun als Pfleger in die Arme seines Peinigers zurück und beginnt das Schreckensregime nachzustellen, indem er Opfer- und Täterrollen vertauscht.
Villaronga versteht sich als Handwerker, seine Filme sind jedoch geradezu obsessiv von wiederkehrenden Themen bestimmt und ecken ob ihrer Unerbittlichkeit wiederholt an: In „El Mar“ gerät ein Sanatorium für tuberkulosekranke junge Männer zur Kampf- und Begehrenszone einer Generation, die sich von den Nachwirkungen des Spanischen Bürgerkrieges nicht lösen kann.
Klassisch anmutend und dennoch expressiv erzählt Villaronga auch in seinem jüngsten Film „Pa negre“ („Black Bread“) von einem Buben, der die Lebenslügen seiner bäuerlichen Familie aufzudecken beginnt. Der Film entfaltet ein Panorama Spaniens nach dem Bürgerkrieg, in dem es keine klaren Fronten, aber auf allen Seiten Schräglagen gibt. Bemerkenswert daran ist nicht nur, wie er heroische Erzählungen politischen Widerstands unterläuft, er öffnet zugleich auch einen mythologischen Raum. Eine Engelsfigur, die für eine andere sexuelle Ausrichtung steht, weist dem Jungen den Weg in die individuelle Freiheit. Auch der Knabe in „Tras el cristal“ nannte sich übrigens Angelo.