: Tischerücken im Lokalen
Nordrhein-Westfalens Zeitungsverlage setzen auf ein neues Redaktionsprinzip: den Newsdesk. Gewerkschafter fürchten, dass der zukünftig zu Entlassungen statt zu mehr Qualität führt
VON MIRIAM BUNJESUND KATHARINA HEIMEIER
Es ist ein Trend aus den USA, der zurzeit in den Zeitungsverlagen Nordrhein-Westfalens für Unruhe sorgt: das Newsdesk-Prinzip. Bei der Münsterschen Zeitung bereitet dieses Prinzip 19 Redakteuren echte Sorgen. Seit letzter Woche sind sie von der Arbeit freigestellt. Die wird jetzt von einem neuen Redaktionsteam erledigt (siehe unten). Am Newsdesk.
„Wir wollten klare Zuständigkeiten“, sagt der neue Chefredakteur Stefan Bergmann. Das Prinzip ist einfach. An einem zentralen Schreibtisch, dem Newsdesk, entscheidet ein Team Ressort übergreifend über Themen und Platzierung im Blatt. Die anderen Redakteure liefern die Nachrichten zu.
In NRW entstehen zurzeit in vielen Redaktionen Newsdesks: bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), der Westfälischen Rundschau (WR) und der Rheinischen Post.
„Ein Newsdesk kann die Qualität verbessern“, sagt Medienwissenschaftler Klaus Meier. „Wenn ein Team verschiedener Fachredakteure gemeinsam entscheidet, können Themen anders gedacht werden.“ Die nicht am Desk beteiligten Journalisten könnten in Ruhe recherchieren. Funktionieren könne ein solches Konzept jedoch nur, wenn es nicht zum Sparen verwendet werde. „Angst lähmt, so werden Newsdeskler mit Sicherheit nicht zu innovativen Blattmachern.“
Angst um ihre Arbeitsplätze haben nicht nur die Redakteure in Münster. „In NRW wird das Newsdesk-Konzept langfristig zum Stellenabbau benutzt“, sagt Willi Vogt, Gewerkschaftssekretär bei Verdi NRW. „Freie Mitarbeiter schicken die Geschichten rein, feste platzieren sie.“
Mit Stellenabbau soll der im Dezember eingerichtete Newsdesk der Westfälischen Rundschau nichts zu tun haben. „Wir wollen nicht sparen, sondern die Qualität der Zeitung verbessern“, sagt Chefredakteur Klaus Schrotthofer. Beteiligt sind alle Ressorts des Mantelteils, deren Redakteure rotierend für je eine Woche am Newsdesk arbeiten. „Jetzt diskutieren Kulturredakteure über Wirtschaftsthemen und umgekehrt.“ Die Kollegen in den Ressorts hätten im Gegenzug den Rücken frei. „Wir haben immer weniger Agenturtexte im Blatt“, sagt Schrotthofer. Entwickelt wurde das Konzept von der Redaktion – basisdemokratisch, so Schrotthofer.
Über das Newsdesk-Konzept von Schrotthofers Konkurrenz – den Ruhr Nachrichten (wie die Münstersche Zeitung in Lensing-Wolff-Besitz) – wollte niemand mit der taz sprechen. Der Verleger hat jedoch schon Anfang 2006 den Verlag zerschlagen und mehrere Redaktionen in neue, nicht-tarifgebundene Unternehmen überführt. Wie zuletzt in Münster.
Auch bei der WAZ setzt man auf den Newsdesk: in der neuen Regionalredaktion in Recklinghausen zum Beispiel. Der US-Import ist Teil des neuen Konzeptes für den Kreis, dessen sieben Lokalredaktionen die WAZ Anfang des Jahres zu einer Regionalredaktion gemacht hat. „Wir begreifen den Newsdesk als Steuerungseinheit, an der die Entscheidungen fallen, beispielsweise was auf die Seite eins kommt“, erklärt Thomas Schmitt, Redaktionsleiter Recklinghausen.
Um den Kontakt mit den Bürgern im Verbreitungsgebiet nicht zu verlieren, fährt zudem eine rollende Redaktion durch den Kreis. „Wir sind eine Bürgerzeitung, und mit der Mobilen Redaktion sind wir als WAZ vor Ort in Brennpunkten, dort wo Probleme den Leuten untern den Nägeln brennen“, sagt Schmitt. Daher steuere der mit drei Redakteuren besetzte Bus die Städte im Verbreitungsgebiet an.
Mit Personaleinsparung haben die Veränderungen in Recklinghausen aber nichts zu tun. Das betont Wilhelm Klümper, stellvertretender WAZ-Chefredakteur. „Die Strukturveränderung geht nicht zu Lasten der Belegschaft.“