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Archiv-Artikel

Wider das wachsende Misstrauen

Eine vorurteilslose Debatte und Forschung über Islam und Moderne kann nur erreichen, wer endlich auf Kampfbegriffe wie Islamophobie und Islamofaschismus verzichtet

Die Güte einer Religion erweist sich letztlich daran, wie souverän sie Kritik verarbeitet

Empirische Sozialforscher belegen die wachsende Ablehnung von Muslimen in den europäischen Einwanderungsgesellschaften mit einem starken Begriff: „Islamophobie“. Das Team um den Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer sieht darin eine brisante Facette generell wachsender Menschenfeindlichkeit, die auch in gutbürgerlichen Kreisen anzutreffen sei.

Das European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) stellt in seinem neuesten Report eine europaweite Diskriminierung von Muslimen fest, zunehmend seit 2001. Angesichts der Terroranschläge und eines islamskeptischen Medientenors könnte man sich jedoch sogar wundern, wie wenig Muslime bisher in Mitleidenschaft gezogen worden sind, wie genau das breite Publikum also zwischen durchweg friedlichen und integrationsbereiten Muslimen und radikalen Islamisten oder gar Terroristen weiterhin zu unterscheiden bereit ist.

Den Umfragen von Heitmeyer und EUMC wurde vorgehalten, einen Popanz namens „Islamophobie“ aufzubauen, der die kritische Auseinandersetzung mit unhaltbaren Zuständen in der Gemeinschaft der Muslime unter Verdacht stelle. Als Feind des Islam erweist sich laut der Bielefelder Studie etwa, wer Nein sagt zu: „Der Islam hat eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht“, „Ich würde mein Kind auch in einer Schule anmelden, in der eine moslemische Frau mit Kopftuch unterrichtet“ oder „Es ist allein Sache der Muslime, wenn sie über Lautsprecher zum Gebet aufrufen.“ Das kann Vorurteile und Stereotypen anzeigen, muss es aber nicht.

Am generellen Befund, der durch eine Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach gestützt wird, ist aber nicht zu rütteln: Das Misstrauen wächst nicht nur gegenüber dem terroristischen Rand, sondern auch gegenüber dem Kern der muslimischen Minderheiten im Westen. Das ist gerade im Mittelstand auffallend, der in demokratischen Gesellschaften doch eine Bringschuld in Sachen Toleranz und Vorschuss-Integration hat. Die in diesen Kreisen bislang eher übliche Islamophilie, die Andersartigkeit ohne Ansehen der Sache prämiert und religiös-kultureller Differenz eine Generalabsolution erteilt, ist radikal umgekippt.

Man muss nur eine beliebige Bürgerversammlung zu dem notorisch umstrittenen Bau von Moscheen besuchen oder den Auftritt eines Ulrich Wickert oder sonstigen Tugendpredigers bei einer Sparkassen-Gala, um auch bei Wohlsituierten im Auditorium den aggressiven Generalverdacht zu spüren, der die Integrationspflicht allein und fast uneinlösbar den Muslimen zuschiebt. Dafür ist man bereit, so gut wie jeden Grundrechtsartikel zu opfern, angefangen mit der Religionsfreiheit.

Diese hat freilich wiederum eine Kehrseite, nämlich die Freiheit, von Religion bitte auch in Ruhe gelassen zu werden und sie kundig und fair kritisieren zu dürfen. Und die Güte einer Religion, deren Bemessung weder einzelnen Gläubigen noch Vorbetern überlassen bleiben darf, erweist sich letztlich daran, wie souverän sie Kritik verarbeitet, ja selbst daran, wie viel Beleidigung, Anfeindung und Misstrauen sie auszuhalten fähig ist. Der Vorwurf der Islamophobie wird von Sprechern der Muslime aber auch dann erhoben, wenn ihre Religion legitimer Kritik unterzogen wird – was eine unverbrüchliche Errungenschaft der Aufklärung bleiben muss.

Den Straftatbestand Blasphemie haben westliche Demokratien zugunsten der Kunst- und Meinungsfreiheit abgeschafft oder entschärft. Also ist es eben nicht religionsfeindlich, wenn man davon Gebrauch gemacht, selbst wenn es religiös musikalische Menschen schmerzt. Und Kritik an der fehlenden Gleichstellung der Geschlechter und der inakzeptablen Behandlung von Homosexualität in allen islamischen Gesellschaften genau wie in der Diaspora trifft keineswegs nur einen fanatischen Fundamentalismus, sondern den Mainstream der Muslime, so wackelig das theologische Fundament dafür auch ist.

Der autoritäre Charakter fast aller Regime von Marokko bis Malaysia ist unbestreitbar

„Der“ Islam mag für die Unterdrückung von Frauen und Schwulen wenig Handhabe bieten, sie entstammt aber einer archaisch patriarchalischen Kultur, deren zutreffende Kennzeichnung als durchweg rückständig charakterisiert werden darf. Oder ist es nicht rückständig, wenn in den arabisch-islamischen Gesellschaften ausgeprägt darauf beharrt wird, die tribale Ordnung der Geschlechter und Generationen zu erhalten? Dagegen führen nicht zuletzt auch die aufgeklärten Muslime einen verzweifelten Kampf.

Nicht alles, wo Islamophobie draufsteht, ist aber tatsächlich islamfeindlich. Der Kampfbegriff stammt aus dem Vokabular einer Anti-Rassismus-Organisation, dem britischen Runnymede Trust, der 1997 im Sinne eines politisch besonders korrekten Multiculturalism eine lange Liste von Kritiktabus vorgelegt hat: Den Islam behandelt demnach schon feindlich, wer ihn als „politische Ideologie“ ansieht, „die für politische und militärische Vorteile genutzt wird“ oder wer „Kritik des Islam ,am Westen‘ pauschal ablehnt“. Nicht islamfeindlich ist dagegen, wer solche in der Tat der Differenzierung bedürftigen Ansichten nutzt, um einzelne Muslime zu diskriminieren und Muslimen insgesamt Menschen und Bürgerrechte vorzuenthalten.

Es geht also um Eingrenzung – nämlich auf Fälle, in denen Muslime tatsächlich Angriffen ausgesetzt sind, ihre Moscheen, Schulen und Friedhöfe beschädigt werden und sie im Bildungswesen, Arbeitsleben und öffentlichen Einrichtungen auf Grund ihrer Religion oder wegen äußerer Erscheinung diskriminiert werden. Gibt es diese Eingrenzung nicht, schafft falsche Toleranz und Sensibilität nur einen Schonraum, in dem die islamische Welt auf selbstkritische Einsichten verzichten und ihren Opfermythos weiter pflegen kann.

Dazu trägt leider ein anderer Kampfbegriff bei, der im islamkritischen Lager Verbreitung gefunden hat: „Islamofaschismus“. Islamkenner wie Manfred Halpern, Maxime Rodinson und Malise Ruthven haben den Neologismus vor langer Zeit aufgebracht, linke und rechte Publizisten wie Christopher Hitchens oder Andrew Sullivan damit ihre Befürwortung des Irakkrieges begründet, den auch George W. Bush und Angela Merkel jüngst unter eben dieses Epitheton gestellt haben. Muss man diese gewagte historische Analogie ziehen, um auf die Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Dschihadismus hinzuweisen? Sind westliche Demokraten aus ihrer Trägheit und Nabelschau nur herauszuholen, wenn nun auch an höchster Stelle die Hitler-Keule ausgepackt wird?

Der autoritäre Charakter fast aller Regime von Marokko bis Malaysia ist unbestreitbar, ebenso das totalitäre Potenzial theokratischer Strömungen im schiitischen Lager wie im Al-Qaida-Terror. Ganz besonders gilt das auch für die Verwandtschaft zwischen faschistischem Antisemitismus und dem heutigen Kampf der Islamisten gegen Juden und Amerikaner, der wiederum die neuen Nazis zum Schulterschluss mit den Islamisten bringt.

Doch bei allen Parallelen gibt es zu viele Unterschiede zu dem europäischen Phänomen des Faschismus, der anders als die Dschihadisten einen starken Nationalstaat postulierte und keine Synthese zwischen herkömmlicher Kulturreligion und sozialer Bewegung wollte, sondern ein radikal gegen das Christentum und andere Religionen gerichtetes Neuheidentum. Auch dass es in der Zwischenkriegszeit eine „klerikal-faschistische Version“ vor allem in Österreich und Ostmitteleuropa gegeben hat, kann den großen Unterschied zur religiös begründeten Unterdrückung und Gewalt heute nicht verwischen.

Das breite Publikum kann zwischen friedlichen Muslimen und Islamisten durchaus unterscheiden

Ungeachtet dessen tut die selbstbewusste Erkennung des Gegners und eine selbstreflexive „Gegnerforschung“ (Wolf Lepenies) Not. Das hat der letztjährige Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels – zum Erstaunen der Paulskirche und einer pazifistisch gestimmten Öffentlichkeit – weniger der überforderten Islam- als der gesamten Kulturwissenschaft aufgegeben. Dabei verzichtete er auf jeden bellizistischen Schlenker im „Krieg der Kulturen“.

Auf die Einlösung dieses Postulats in der öffentlichen Debatte wie im engeren Feld der Kulturwissenschaften wartet man. Schlagwörter und Kampfbegriffe wie Islamophobie und Islamofaschismus stehen nur im Weg, wenn endlich eine Debatte und Forschung über Islam und Moderne beginnen soll, die vorurteilslos und ohne die Scheuklappen politischer Korrektheit zu den umstrittenen Sachen selbst kommt. CLAUS LEGGEWIE