: In den ewigen Jagdgründen
Kristallklares Wasser, Buchenwälder, Braunbären und Bachforellen: Zu Fuß durch die wildromantische Natur des Nationalparks Plitwitzer Seen in Kroatien. Der Krieg ist trotz mancher zerstörter Häuser am Straßenrand heute Vergangenheit
VON VOLKER ENGELS
Die Schlange, die regungslos am Rand des schmalen Uferwegs liegt, genießt offensichtlich die wärmenden Sonnenstrahlen. Erst der erschreckte Luftsprung des bis gerade noch gut gelaunten Wanderers macht aus dem gemächlichen ein schnelles Tier: In Windeseile kringelt sich das schwarze, etwa ein Meter lange Reptil in Richtung Wasser und versteckt sich an der Uferböschung zwischen den Steinen. „Diese Schlange ist nicht gut, die ist giftig“, meint abends der schlangenkundige Bauer, der gegenüber dem Parkeingang preiswerte Zimmer vermietet. Aber Hornvipern oder Ringelnattern gebe es in der Region viele, „die müssen wir regelmäßig mit Knüppeln erschlagen“, gesteht er nach dem dritten selbstgebrannten Slibowitz ein. Freundlich, aber deutlich weniger gesprächig ist Maria, die Ehefrau des 67-Jährigen. Später, in der Küche des Bauernhauses, wird der Grund für das traurige Schweigen klar: An der Wand hängen die Fotos von vier Kindern, zwei mit schwarzem Trauerflor umrandet. „Ein Sohn ist im Krieg gefallen, den anderen haben ein paar Meter vom Elternhaus entfernt Heckenschützen erschossen.“
Doch der Krieg ist trotz mancher zerstörter Häuser am Straßenrand heute Vergangenheit. Die Aufmerksamkeit der Besucher kann sich ganz der wildromantischen Natur zuwenden: Denn Schlangen, Bären oder Luchse sind hier, im kroatischen Nationalpark Plitwitzer Seen, keine Seltenheit. Alte Buchen- und Tannenwälder bieten Schutz vor den räuberischen Blicken der Besucher. In der Nähe der bosnischen Grenze gelegen, gehört der Nationalpark sicher zu den eindrucksvollsten Naturdenkmälern des Mittelmeeranrainers. Seit 1979 ist der Nationalpark mit einer Fläche von fast 300 Quadratkilometern auf der Liste des Unesco-Welterbes, bereits 1949 wurde das Gebiet offiziell zum Nationalpark erklärt.
Glasklares Wasser, das als brausende Gischt oder donnernder Wasserfall von einem der 16 Seen in den nächsten darunter liegenden stürzt und dabei rund 1.580 Meter überwindet, bietet auch den zahlreichen Fischen ein sicheres Zuhause, die im Nationalpark keine Angst vor Anglern haben müssen. Direkt neben den Fußwegen am Ufer schwimmen Bachforellen in Herdenstärke im Wasser und scheinen sich einen Spaß daraus zu machen, die Besucher des Naturparks zu beobachten. Doch vermutlich nähern sie sich dem Ufer nur wegen der Brotkrumen mitfühlender Touristen.
Auf den ersten Blick ähnelt die Naturoase dem Amazonasgebiet. Zahlreiche Flüsse und Bäche aus dem Gebirge lösen Kalk aus dem Gestein, sodass immer neue Barrieren und Wasserfälle entstehen, die sich in die kristallklaren Seen ergießen. Irgendwie bekannt mutet die Landschaft an, die sich rings um das Seengebiet erstreckt. Kein Wunder: Denn in den 60er-Jahren wurden hier „Der Schatz im Silbersee“ und andere Winnetou-Filme gedreht. Ein kurzer Abstecher in die Kindheit, Wehmut bei der Erinnerung, dass sich der Indianerhäuptling in „Winnetou III“ in die ewigen Jagdgründe verabschieden musste.
Alleine die Besuchergruppen, die entlang der Uferwege oder über hölzerne Pfade wandeln, lassen erahnen, dass man sich im Herzen Europas und nicht im Amazonasgebiet befindet. Doch die Idylle kennt auch Schattenseiten: Über Jahre gab es im Grenzgebiet zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina noch Landminen. „Die sind inzwischen alle geräumt, hier gibt es keine Gefahr mehr“, sagt einer der uniformierten Parkwächter.
Wer die großen Wanderwege verlässt und sich etwas abseits der Touristenscharen auf den Weg macht, wird im Plitwitzer Seengebiet belohnt: Gemächlich kreuzt eine Weichschildkröte den Fußweg, die saftige Wiese fest im Blick. Wer einem leibhaftigen Bären begegnen will, muss allerdings früh aufstehen und viel Geduld mitbringen: Immerhin 20 Bären sollen sich im Nationalpark aufhalten, Braunbären haben einen großen Radius und sind daher oft nur auf der Durchreise. Das große Raubtier ist extrem scheu und meidet – anders als bayerische Problembären – die Gesellschaft von Menschen. Wahrscheinlicher, dass man auf den Abdruck einer Bärentatze oder auf Haarreste eines Bären an Bäumen stößt, der die Rinde zum Rückenkratzen benutzt hat.
Sollte Meister Petz auf seinen Streifzügen durch den Nationalpark doch einmal den Weg des Wanderers kreuzen: Keine Panik! „Beobachten Sie den Bären aus einer Entfernung von mehr als 50 Metern, auf keinen Fall unter 30 Meter, und ziehen Sie sich leise zurück“, heißt im Führer zum Nationalpark lakonisch. Selbst ein Bär, der sich auf den Hinterbeinen aufrichtet, bedeute noch nicht, dass er angreifen wird: „Es ist möglich, dass er sich aufrichtet, um mit seinem Gehör, seiner Nase und seinen Augen besser zu erkennen, wo sie sind.“ Na ja, gut zu wissen!
Unterschlupf im Plitwitzer Seengebiet gibt es für Meister Petz und seine Kollegen reichlich: Immer wieder sieht man Höhlen oder Grotten, die der Landschaft eine faszinierende Atmosphäre verleihen. Abkühlung finden Wanderer nicht nur in den Restaurants im Nationalpark. Wer sich in die Nähe eines Wasserfalls stellt, wird zur Belohnung von der kühlenden Gischt erfrischt.
Infos: www.np-plitvicka-jezera.hr