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Archiv-Artikel

Plöger trifft Kleist

FILMINSTALLATION Im Kunstverein Langenhagen zeigt der Künstler Wolfgang Plöger den Berliner Kleinen Wannsee, an dem sich vor hundert Jahren Heinrich von Kleist das Leben nahm, aus zwei Perspektiven

So ist auf nichts mehr Verlass, alles ist nicht das, was es zu sein scheint

Das Jahr 2011 ist das Kleist-Jahr, im November 1811 ging der Dichter Heinrich von Kleist mit seiner Gefährtin Henriette Vogel in den Freitod. Der Ort des Suizids am Kleinen Wannsee in Berlin wurde auch Kleists Begräbnisstätte, denn Selbstmördern verwehren die Kirchen die letzte Ruhe auf dem Friedhof.

Diesen mehrfach kodierten Ort hat der Künstler Wolfgang Plöger für eine zweiteilige Filminstallation aufgesucht, die er nun im Kunstverein Langenhagen zeigt. Plöger, 1971 in Münster geboren, hat zwei Jahre an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel verbracht, bevor er nach Berlin ging und einen autodidaktischen Weg einschlug. Obwohl Plöger mit Film, Fotografie und den Bildreservoiren des Internet arbeitet, weist er die Bezeichnung „Medienkünstler“ von sich. Der Medientheorie gar gilt nur am Rande sein Interesse, seine Arbeitsweise und sein künstlerisches Material entlehne er eher der Literatur, zum Beispiel den Dichtungen Kleists. Dessen Zweifel an der Wahrheit, ob sie „wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint“, war der Anlass für Plögers detektivische Arbeit am Tatort Kleiner Wannsee. Was ist an dem Ort noch authentisch, welche Zeitschichten haben ihn überlagert, welche Spuren lassen sich wie deuten?

Heinrich von Kleist ist wohl wie kaum ein anderer deutscher Dichter von allen Ideologien vereinnahmt worden. Den Nationalisten galt er als Vorkämpfer der Befreiungskriege gegen Napoleon, der DDR als Kritiker feudaler Privilegien. Und die NS-Kulturpolitik sorgte sich um seine Grabstätte. Das ursprüngliche, von der Familie Kleist durch einen jüdischen Bildhauer gefertigte Memorial wurde 1936 entfernt und durch ein neues, mit anderer Aufschrift, ersetzt. Denkmalschützer requirieren allerdings die NS-Variante als unstrittig nun zum Ort gehörend.

Wolfgang Plöger setzte seine Super-8-Kamera auf einen selbstgebauten, langsamen Motor und ließ sie aus zwei Perspektiven je ein Panorama des Ortes aufnehmen. Ein Fernblick ist in Schwarz-Weiß, der nähere Bereich direkt um die Grablege in Farbe aufgenommen. Beide Filmstreifen sind zu Endlosschleifen montiert. Sie laufen durch je zwei Projektoren, paarweise gekoppelt, die in Doppelprojektion minimal zeitlich versetzte, von rechts nach links wandernde Bildläufe zeigen. Feine Unstimmigkeiten in den Projektoren – eine flackernde Birne, ein etwas unrunder Durchlauf – sorgen dafür, dass das rechte Bild, wenn es links erscheint, immer etwas anders aussieht, als von der rechten Seite bekannt. Ein Zweifel an der Verbindlichkeit des eben gesehenen Bildes und dessen, was es zeigt, wird somit gesät. Das schwarz-weiße Panorama könnte zudem, aufgrund der antiquierten Technik und der etwas nebulösen Fokussierung, aus der Zeit um 1900 stammen, das farbige Bildmaterial mutet an wie aus einem Heimkino der 1970er Jahre. So ist auf nichts mehr Verlass, alles ist nicht das, was es zu sein scheint.

Und um den Zweifel noch weiter zu treiben, trennt Plöger den Raum des Kunstvereins in zwei Abteilungen. Eine grüne Glasscheibe bildet eine transparente und mysteriös reflektierende Sperre zwischen den Projektionen. Nun erscheint der Schwarz-Weiß-Film, steht man hinter dem Glas, in Grünlich-Weiß, der farbige wiederum wird in einem Farbwert intensiviert. Selbstverständlich, dass auch Heinrich von Kleist bereits der Farbe misstraute: „Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün – und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört“. BETTINA BROSOWSKY

Delay: bis zum 3. April im Kunstverein Langenhagen